Tübingen fehlen fast acht Millionen Euro, damit der Haushalt genehmigt wird – die Stadt erhöht deshalb rückwirkend die Steuern. Die Belastung steigt – und das mitten im Jahr.
Oberbürgermeister Boris Palmer und der Gemeinderat haben wegen der schlechten finanziellen Lage in Tübingen beschlossen, die Steuersätze für Grund- und Gewerbesteuer rückwirkend zum 1. Januar zu erhöhen. Eigentümer und Unternehmen müssen nun mehr Steuern zahlen. In Tübingen klafft ein Loch von 7,6 Millionen Euro. Das wird nun gestopft. Tübingen ist nach Baden-Baden die zweite Stadt in Baden-Württemberg, die Steuern rückwirkend erhöht.
Palmer: Keine andere Wahl gehabt
Die Höhe der Grund- und Gewerbesteuer – bestimmt durch den sogenannten Hebesatz – können die Kommunen im Land selbst festlegen. Die Gewerbesteuer steigt von 390 auf 405 Prozent, die Grundsteuer B steigt von 270 auf 350 Prozent. Die Grundsteuer C, die in Tübingen seit diesem Jahr auf baureife, unbebaute Grundstücke erhoben wird, bleibt bei 540 Prozent. „Dass die erneute Erhöhung der Grundsteuer innerhalb eines halben Jahres die Eigentümerinnen und Eigentümer verärgert, kann ich verstehen.“
Angesichts der dramatischen Finanzlage der Kommunen in Deutschland – nicht nur in Tübingen – habe man keine andere Wahl gehabt, sagte Palmer nach der Entscheidung. Ohne die Steuererhöhungen werde keine Genehmigung des Haushalts erreicht. Kommunen können nur noch bis zum 30. Juni rückwirkend ihren Hebesatz für 2025 ändern. Danach kann dieser nur noch nach unten angepasst werden. Die Grundsteuer ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der notorisch klammen Gemeinden.
Grundsteuerreform und die Folgen
Seit 2025 gilt bundesweit eine neue Grundsteuer-Berechnung. Das hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert, denn zuletzt hatten die Finanzämter den Wert einer Immobilie auf der Grundlage völlig veralteter Daten kalkuliert. In Baden-Württemberg gilt jetzt das sogenannte Bodenwertmodell – dabei zählt die Fläche – und nicht das, was darauf steht.
Kommunen können die Höhe der Grundsteuer nur über den sogenannten Hebesatz beeinflussen. Sie entscheiden darüber eigenständig. Der Grundsteuerwert für die Grundsteuer B in Baden‐Württemberg ergibt sich aus der Multiplikation von Grundstücksfläche in Quadratmetern und dem Bodenrichtwert. Dieser ist der durchschnittliche Wert des Bodens pro Quadratmeter. Er wird vom örtlichen Gutachterausschuss ermittelt und in der Datenbank Boris BW veröffentlicht.
Der Hebesatz muss dabei aber aufkommensneutral gewählt werden: Denn die jeweilige Kommune soll durch die Grundsteuerreform in etwa so viel Geld einnehmen wie vor der Reform. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Grundstückbesitzende die gleiche Grundsteuer zahlt wie im Jahr 2024. Durch die neuen Bewertungsmethoden können Einzelne mehr oder weniger zahlen, solange die Gesamteinnahmen der Kommune nicht steigen.
„Die Grundsteuer wurde wegen unzureichender Daten der Finanzbehörden nicht wie beabsichtigt aufkommensneutral gestaltet, sondern durch den Beschluss des Hebesatzes von 270 Prozent unabsichtlich um 10 Prozent oder 2 Millionen Euro gesenkt“, hieß es von der Stadt Tübingen. Die Festsetzung habe sich am damals gültigen Transparenzregister mit einem Korridor zwischen 257 und 284 Prozent orientiert. Die Stadt wählte den Mittelwert. Inzwischen wird für Tübingen im Transparenzregister eine Hebesatzbandbreite von 269 bis 297 Prozent angegeben. Tübingen wollte ursprünglich auf 360 Prozent gehen. 350 wurden nun beschlossen.
Hin und Her der Hebesätze im Transparenzregister
Laut einem Sprecher des Finanzministeriums spielen bei der Erhöhung der Hebesatz-Werte mehrere Faktoren eine Rolle. „Die laufende Fall- und Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern, Änderungen von Bodenrichtwerten durch die Gutachterausschüsse und Auswertung von Gutachten können sich auf die Bandbreite auswirken.“
Nicht nur für Tübingen musste das Ministerium den Hebesatz-Korridor anpassen: Für rund sechs Prozent der 1.101 Kommunen in Baden-Württemberg, also 63 Städte und Gemeinden, gab es seit der Veröffentlichung des Transparenzregisters im Oktober 2024 Änderungen. Der Sprecher stellte klar, dass die Angaben im Transparenzregister unverbindlich seien und den Bürgerinnen und Bürgern sowie der kommunalen Verwaltung lediglich als Anhaltspunkt dienen sollen.
Bund der Steuerzahler kritisiert die Erhöhung
Die Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer in Tübingen hat aus Sicht des Landesvorsitzenden des Bundes der Steuerzahler Baden-Württemberg, Eike Möller, gleich mehrere negative Folgen. „Zum einen werden die finanziellen Spielräume der Bürger dadurch enger, zum anderen leiden auch die Unternehmen“, sagte er. „Im Zuge der Grundsteuerreform wurde den Bürgern angekündigt, dass die Reform aufkommensneutral umgesetzt wird. In Tübingen scheinen sich die Bürger auf diese Ankündigung nicht mehr verlassen zu können.“