Haushalt, US-Zölle, Richterwahl: Lars Klingbeil hat mit vielen Baustellen zu tun – selbst auf seiner Reise nach Litauen. Nun spricht der Vizekanzler ein Machtwort.
Und das stehe jetzt in jedem Schulbuch? Lars Klingbeil wirkt verblüfft. Der Finanzminister lässt sich gerade von General Christoph Huber die Bedeutung der Bundeswehr-„Panzerbrigade 45“ für Litauen erläutern, deren Stationierung an der Nato-Ostflanke tatsächlich schon Schulstoff für viele Zehntklässler ist. Noch ist die Truppe zwar nicht aktiv, befindet sich im Aufbau. Doch die Erwartungen sind groß – auch an Klingbeil.
Herzensthema für den Soldatensohn Klingbeil
Der Vizekanzler und Finanzminister ist auf Kurzbesuch in Litauen, knapp 24 Stunden. Bilaterale Gespräche, dazu ein Truppenbesuch. Man fragt sich nur: warum? Waren nicht neulich schon Kanzler, Verteidigungsminister und Bundespräsident vor Ort gewesen? Was will Klingbeil hier – und wieso gerade jetzt?
Schließlich tun sich vor dem Parteichef-Vizekanzler-Finanzminister in Berlin gerade viele Baustellen auf. Der schwelende Richterstreit, die unheilvollen US-Zölle, das zunehmende Leid in Gaza. Nun hat der Kassenwart der Koalition noch seinen Haushaltsentwurf für 2026 und die Finanzplanung bis 2029 vorgelegt, inklusive enormer Milliardenlücken, die Schwarz-Rot schließen muss. Klingbeil lässt in Litauen keinen Zweifel daran, was er jetzt von den Kabinettskollegen erwartet.
Bei dieser unheiligen Mischung an Krisen und Konflikten erschließen sich Timing und Anlass für den Litauen-Besuch jedenfalls nicht auf Anhieb. Es ist eine Solidaritätsadresse von Klingbeil, den es für seine vierte Reise im neuen Amt nach Litauen verschlägt, aber auch eine Herzensangelegenheit für den Soldatensohn aus Munster.
Gleichzeitig scheint Klingbeil daran gelegen zu sein, auch einmal in schönen Bildern festgehalten zu werden. Auch der Vizekanzler und Finanzminister hat die Bundeswehr und Sicherheit Europas im Blick. Als eine Art Bundesallesminister, der sich kümmert.
Lars Klingbeil haut auf den Haushaltstisch
Nach dem kurzen Besuch in der Stabstelle der „Panzerbrigade 45“ – einer unspektakulären Büroetage in Vilnius‘ Stadtkern – geht’s für Klingbeil ins knapp eineinhalb Autostunden entfernte Rukla. Zu den eindrucksvollen Bildern.
Klingbeil schreitet vorbei an Kampfpanzern, Transportfahrzeugen und Soldaten, die dem Herrn Minister erklären, was „Puma“, „Boxer“ oder „Dingo“ draufhaben. Rund 1400 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind hier stationiert, am Stützpunkt der multinationalen Nato-Battlegroup. Klingbeil dankt für den Einsatz und betont, ein „klares Signal“ für die Bundeswehr setzen zu wollen. Gemeint: der Anstieg der Verteidigungsausgaben.
Am Engagement Deutschlands zur Bündnisverteidigung hatte es in den vergangenen Jahren Zweifel gegeben, sie wurden oft als unzureichend kritisiert. Entsprechend zufrieden zeigen sich auch Klingbeils baltische Amtskollegen. Nach einem Arbeitstreffen am Vormittag lobt Litauens Finanzminister Rimantas Sadzius die „umfassenden Schritte“, die nun auch Deutschland bei den Verteidigungsausgaben gehe.
Litauen selbst gebe schon vier Prozent des BIP für Verteidigung aus, plane im kommenden Jahr einen weiteren Aufwuchs, auch Estland und Lettland hätten sich auf diesen Weg begeben. Klingbeil betont, dass die Sicherheit der baltischen Staaten „auch unsere Sicherheit“ sei. Deutschland wolle seiner Verantwortung in Europa gerecht werden, die deutsche Haushaltsplanung sei Ausdruck davon.
Denn streng genommen hat Klingbeil nichts konkret Neues im Gepäck für seine Gastgeber, gleichwohl der aufgemotzte Bundeshaushalt eine Botschaft für sich ist. Die deutschen Verteidigungsausgaben sind weitestgehend von den Schuldenregeln befreit, fortan wird lediglich ein Sockel der Ausgaben nicht durch Kredite finanziert. Schon 2026 sollen 97,4 Milliarden Euro für Verteidigung ausgegeben und bis 2029 soll sogar das 3,5-Prozent-Ziel der Nato erreicht werden.
An anderer Stelle der Staatskasse quietscht es jedoch gewaltig. So fehlen in der Finanzplanung bis 2029 knapp 172 Milliarden Euro, bereits kommendes Jahr müssen 34,3 Milliarden Euro zusammengekratzt werden. Wie? Noch unklar. Klingbeil will seine Pläne am Mittwoch vom Kabinett beschließen lassen. Dort dürfte er auch einen drastischen Spar-Appell platzieren. In Vilnius legt er schonmal vor.
So werde der Haushalt für 2027 eine „enorme Herausforderung“ für die Regierung und werde jedem Kabinettsmitglied „etwas abverlangen“, mahnt er im Beisein seiner baltischen Amtskollegen. Alle müssten sich bewegen, fordert der Finanzminister. „Das geht jetzt sofort los, dass alle in die Aufgabenkritik gehen und gucken, wo kann in den Ministerien eingespart werden.“
Ein Test für Klingbeils Autorität
Das dürfte für die Koalition zur handfesten Bewährungsprobe werden, nicht zuletzt für Klingbeils Autorität als Vizekanzler und Finanzminister. Zuvor hatten Union und SPD schon wegen weitaus niedrigschwelliger Vorhaben über Kreuz gelegen. Etwa wegen der Stromsteuersenkung, die nun doch nicht für Privathaushalte greifen soll. Oder der verschobenen Karlsruher Richterwahl, bei der sich die Koalitionäre regelrecht verkantet haben. Und es zeichnet sich schon weiteres Ungemach ab.
So fordert Wirtschaftsministerin Katherina Reiche eine längere Lebensarbeitszeit – ein rotes Tuch für die Sozialdemokraten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht mit Blick auf das Bürgergeld von einem Herbst, „der sich gewaschen hat“.
Klingbeil muss als SPD-Parteichef auch seine Leute bei Laune halten, kann diese Provokationen kaum wortlos stehen lassen. Entgangen sind sie ihm jedenfalls nicht: Den Reiche-Vorstoß kanzelte er via TV-Interview mit RTL/ntv in Vilnius als „Schlag ins Gesicht für viele“ ab. Die angespannte Lage in Berlin dürfte das wenig beruhigen.
Zumal noch schmerzhafte US-Zölle in Höhe von 15 Prozent dazukommen. Zwar mag mit dem Deal zwischen den USA und der EU ein Handelskrieg abgewendet worden sein. Trotzdem erwartet Klingbeil „erhebliche Konsequenzen“ und Einbußen für das deutsche Wirtschaftswachstum. Ist der sachte Aufschwung schon wieder abgewürgt, bevor er richtig begonnen hat? Der Druck auf den Kanzler und seinen Vize nimmt nicht ab.
In Litauen sind diese Sorgen für einen Moment weit weg – und Klingbeil in seinem Element. Wenn er von seiner Heimat Munster erzählt, dem dortigen Bundeswehrstandort und seinem Soldatenvater. Klingbeil spricht gern darüber, um seine Nähe zur Truppe zu unterstreichen. Am Morgen habe er mit Verteidigungsminister Boris Pistorius telefoniert, sagt er noch, er solle schöne Grüße ausrichten. Dass er selbst einst den Wehrdienst verweigert hat, sagt er nicht.
Bis spätestens Ende 2027 will Deutschland dauerhaft 4800 Soldatinnen und Soldaten sowie knapp 200 zivile Mitarbeiter in Litauen stationieren. Laut Klingbeil sichere der massive Aufwuchs des deutschen Verteidigungsetats auch den Aufbau der Brigade ab. Ziel: die Nato-Ostflanke schützen und Russland abschrecken.
Aber es fehlt noch an Infrastruktur, beispielsweise Kasernen, die nun in hohem Tempo hochgezogen werden sollen. Bis Ende des Jahres sollen knapp 500 Soldatinnen und Soldaten hier stationiert sein. Es gehe schnell voran, berichten sie, viel pragmatischer als in Deutschland – die Bautätigkeiten liegen in litauischer Hand.
Klingbeil kann sich ja auch nicht um alles kümmern.