Stadtrat Julien Ferrat: Sein Traum von einem Swingerdorf soll Mannheims Schulden tilgen

In Südfrankreich liegt ein FKK-Paradies. Kommunalpolitiker Julien Ferrat will das Konzept in Mannheim kopieren und für Swinger öffnen. Nicht jeder findet die Idee so sexy, wie er.

Wenn Julien Ferrat den Hörer abhebt, klingt er gehetzt. Es könnte an seinem Job als Kommunalpolitiker liegen. An der Reise, die ihn in wenigen Tagen nach Südfrankreich führt. Oder an den Medien, die ihn bestürmen – wegen eines Nacktfotos im Mannheimer Amtsblatt und der Einladung zu einer Tantra-Reise ins „Village Naturiste“. Der Ort liegt in der Stadt Cap d’Agde am südfranzösischen Mittelmeer und ist das Mekka der FKK-Community.

Ferrat, Stadtrat in Mannheim und ansonsten bekennender Nudist und Swinger, war privat schon zweimal dort. Nackt ist für ihn normal, egal ob am Strand oder im Amtsblatt. Ferrat glaubt, dass es auch Mannheim guttäte, wenn es sich mal frei machen würde. Deshalb will er die Stadt in einen deutschen Hotspot der FKK- und Swinger-Szene verwandeln. Seine Idee: ein Nudistendorf für 1000 bis 2000 Menschen auf der Friesenheimer Insel – FKK-Strand, Sportanlage, BDSM-Club und Porno-Kino inklusive. Inspiriert hätte ihn besagtes Dorf in Südfrankreich, so erzählt er es dem stern am Telefon. Dort will er jetzt mit über einem Dutzend Freiwilligen hinter die Kulissen schauen und für sein Traumprojekt in Mannheim lernen.

Mannheim soll die kleine Schwester von Cap d’Agde werden

Im Stadtrat wollen sie Ferrat deswegen nicht mehr ernst nehmen. Der Deutsche FKK-Verband ist verärgert, weil der Lokalpolitiker FKK- und Swinger-Kultur vermischt. In den Medien sorgt Ferrats Idee trotzdem – oder gerade deswegen – weltweit für Schlagzeilen. Auch der stern berichtete von dem kuriosen Aufruf und erhielt in den Wochen danach unzählige E-Mails mit Pressespiegeln und Informationen zur geplanten Swingerreise nach Cap d’Agde. Was die Mehrheit im Mannheimer Stadtrat als obszönes Privatvergnügen kritisiert, will Ferrat als politische Mission verstanden haben.

Aber wie ernst kann eine als „politische Bildungsreise“ gelabelte Veranstaltung sein, die der Reiseleiter gleichzeitig als „Tantra-Session“ und „FKK-Swinger-Urlaub“ bewirbt und deren Programm hauptsächlich Gespräche mit Swinger- und BDSM-Clubbetreibern vorsieht? Wer ist der Mann, der Mannheim unter dem Deckmantel der FKK-Kultur zum Swingen bringen will? Und braucht die Stadt so etwas überhaupt?

Ein Swinger-Paradies soll Mannheims Schuldenloch stopfen

Peinlich ist Ferrat jedenfalls nichts. 2017 protestierte er mit einem Foto von sich im Adamskostüm gegen die Haushaltsplanung der Stadt Mannheim und warf dem Gemeinderat Steuerverschwendung vor. Zur letzten Gemeindewahl stellte sich Ferrat mit einem Interview im Amtsblatt der Stadt vor – Nacktporträt inklusive. Etwas verrückt, aber sonst harmlos, sollte man meinen. Doch zu Ferrats Vergangenheit gehören auch mehrere Rapvideos, mit Inhalten unter der Gürtellinie. Zum Beispiel eines gegen Schwangerschaftsabbrüche, in dem explizite Szenen einer Abtreibung zu sehen sind. Oder ein Clip, für den Ferrat eine Geldstrafe von 3000 Euro kassierte, weil er Mannheims Oberbürgermeister darin beleidigte.

Seinen Platz in Mannheims Gemeinderat haben ihn diese Lokalskandale nie gekostet. Seit 2014 sitzt Ferrat dort, zunächst für die konservative Familienpartei, heute für seine eigens gegründete Wählervereinigung Die Mannheimer. Und weil Ferrat persönlich wie politisch aneckt, ist sein Platz die Oppositionsbank.

Kritiker werfen dem 33-Jährigen vor, dass es ihm mehr um Aufmerksamkeit als um ernsthafte Politik gehe. Die FDP bezeichnet ihn in einer schriftlichen Antwort an den stern als „öffentlichkeitsgeilen jungen Mann“. Der Eindruck drängt sich auf: Über jedes Medienecho zu seiner Politik-Tantra-Reise ans Mittelmeer führt Ferrat akribisch Buch und teilt seine persönlichen Statistiken zu Medienberichten, Klicks und Google-Reichweite fast wöchentlich mit dem stern.

Doch mit dem Traum vom Mannheimer Nudistendorf meint es der Stadtrat wirklich ernst. Sein Privatvergnügen soll Mannheims Kapital werden. Die Stadt hat es nötig: Mit 521 Millionen Euro im Minus gehört Mannheim zu den am höchsten verschuldeten Städten Baden-Württembergs. Die mehr als 30 Millionen schwere Sanierung des Nationaltheaters und die Instandhaltung des Klinikums drohen das Finanzloch weiter zu vertiefen. Ferrat glaubt, dass ein Nudistendorf Mannheims Kassen wieder füllen würde, ohne dass die Stadtbewohner für Steuererhöhungen blechen müssen. Wie der Nischentourismus da helfen soll, will er mit seiner zwanzigköpfigen Reisegruppe in Cap d’Agde herausfinden.

Wo die Grenzen zwischen FKK und Swingern verschwimmen

Die 28.000 Seelen große Stadt zählt zu den ältesten in ganz Frankreich und soll jährlich 1,5 Millionen Touristen anziehen. Mit Tagestickets für das „Village Naturiste“, Gastronomie, Geschäften, Hotels und Campingplätzen trägt sich der Ort finanziell selbst. „Weltweit ist mir kein anderes kommunales Tourismusprojekt dieser Art bekannt“, schwärmt Ferrat. Und das Beste: Alle sind nackt. Kleidung ist im „Village Naturiste“ verpönt. In den Supermärkten stehen die Touristen enthüllt vor den Regalen und an den Kassen, so wie eigentlich überall in den Gassen, auf den Campingplätzen, in den Hotels und am Strand sowieso. Hüllen fallen lassen und eins werden mit der Natur – das ist das Motto der FKK-Community, das Mantra des „Village Naturiste“, auch weil Familien mit Kindern hier gerne ihre Sommerurlaube verbringen.

Doch seit einigen Jahrzehnten wird der Ort unterwandert von Touristen, die Freizügigkeit offenherziger interpretieren und die Spießigkeit des einfachen Nacktseins mit Erotik garnieren. Auch wenn die lokalen Behörden das gar nicht gerne sehen. Am Schweinchenstrand, so ist zu lesen, wird „Sex on the Beach“ wörtlich genommen. Selbst die Polizei soll bei den hiesigen Orgien alle Augen zudrücken. Ausdrücklich erlaubt ist die ausschweifende Erotik nur in bestimmten Etablissements, darunter in zwei Hotels. Ansonsten warnen Reiseführer im Netz davor, seinen nackten Trieben an jeder Ecke nachzugehen und die Privatsphäre aller Touristen vor Ort zu akzeptieren.

Die Vermischung von FKK und Swinger ist einfach ein Fakt

Ferrat hat seine Reisegruppe bei einem Trainingslager auf das Sexualverhalten im FKK-Dorf vorbereitet. Die Veranstaltung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, doch nach allem, was man hört und liest, sollen mit den Hüllen auch die Hemmungen gefallen sein. In aller Öffentlichkeit zu kopulieren, dürfte danach keinem der Teilnehmer mehr peinlich sein.

Der Deutsche Verband für Freie Körperkultur (DFK) ist entsetzt. FKK, das sei Gemeinschaft, Sport, nackt, in der Natur. „FKK ist ausdrücklich nicht mit Sexualität und Swinger-Aktivitäten gleichzusetzen“, betont der Verband gegenüber dem stern und wirft Ferrat Missbrauch der Freikörperkultur vor. Weil Familien unterschiedlicher Generationen nackt und im Freien zusammen Sport treiben, bestünde eine Gefahr durch sexuelle Absichten nicht. „Es gibt genug Adult-Only-Angebote in der Swinger-Szene“, schreibt der DFK. Es könne beides nebeneinander existieren.

Erst das Vergnügen, dann die Arbeit

Ferrat sieht das anders: „Die Vermischung von FKK und Swinger ist einfach ein Fakt.“ Im „Village Naturiste“ von Cap d’Agde will er „hinter den Kulissen“ lernen, wie das geht, damit auch Mannheim mit der obszönen Freizügigkeit Geld verdienen kann. Nur: Wer will nackt durch Mannheim tingeln, wenn er sich bei Traumtemperaturen am südfranzösischen Mittelmeerstrand aalen kann? Genügend Touristen, glaubt Ferrat. Zum Beispiel jene, die aus Nordeuropa nach Südfrankreich reisen und auf dem Weg einen Zwischenstopp einlegen müssten. Oder jene, die die weite Reise an die südfranzösische Küste gar nicht erst antreten wollten. „Mannheim soll die kleine Schwester von Cap d’Agde werden“, so lautet sein Plan.

Bevor es so weit ist, muss er im Stadtrat daheim noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Im November 2024 hat Ferrat einen Antrag für eine Machbarkeitsstudie eingereicht. Kosten: 100.000 Euro, so steht es in dem Dokument, das dem stern vorliegt. Wird das Projekt wirklich umgesetzt, dürfte noch einmal ein Millionen- bis Milliardenbetrag dazukommen – je nachdem, wie groß das Angebot werden soll.

Ich bin es gewöhnt, dass meine Vorschläge abgelehnt werden

„Es gibt natürlich Leute, die damit weniger anfangen können“, räumt Ferrat ein, aber er habe auch positive Rückmeldungen erhalten. Ein Gemeinderatsmitglied sei selbst schon im „Village Naturiste“ gewesen, ein anderes in der Tourismusbranche tätig und deshalb an neuen Branchenideen interessiert. „Aber solche Sachen kriegt man nur während der Sitzungspausen in informellen Hintergrundgesprächen mit.“

Dem stern gegenüber äußern sich die einzelnen Gemeinderatsfraktionen ablehnend. Mannheim sei bereits ein beliebtes Reiseziel und der Trip nach Südfrankreich allein Ferrats Privatvergnügen.

Ferrat winkt ab: „Ich bin ja Einzelstadtrat in der Opposition, insofern bin ich es gewöhnt, dass meine Vorschläge abgelehnt werden. Würde ich da jedes Mal ins Kopfkissen weinen, käme ich zu nichts anderem mehr.“ Darauf, ob und wann das Nudistendorf in Mannheim stehen wird, will er sich nicht festlegen. Aber er bleibt optimistisch: In Cap d’Agde habe es 16 Jahre gedauert, bis der Grundstein für das „Village Naturiste“ gelegt wurde.