Filmfestspiele: Monster auf der Leinwand – und in der Wirklichkeit?

Jude Law als Putin, Oscar Isaac als Frankenstein: Das Kino ist derzeit von größenwahnsinnigen Männern bevölkert. Über Filme, die uns über die Krisen unserer Zeit nachdenken lassen.

Er trägt ein blondes Toupet, tiefen Seitenscheitel und einen versteinerten Gesichtsausdruck, als er sagt: „Der russische Präsident kann und darf sich niemandem unterwerfen.“ Jude Law ist im neuen Film „The Wizard of the Kremlin“ als Wladimir Putin zu sehen. Und porträtiert den Präsidenten in Bildern, die manchen aus der Realität bekannt vorkommen dürften: undurchsichtig, ausdruckslos, kalt.

Jude Law ist nur ein Beispiel für die Figuren, die gerade das Kino erobern. Es sind Männer, die ihre Macht missbrauchen und auf manche größenwahnsinnig, gar monströs wirken. Sie bestimmen unser politisches Geschehen und sie bestimmen auch, welche Filme dieses Jahr beim Festival in Venedig laufen. Neben dem Putin-Film des Franzosen Olivier Assayas sind das etwa Guillermo del Toros „Frankenstein“ und Giorgos Lanthimos‘ neuer Film mit Emma Stone, „Bugonia“. 

Jude Law als undurchsichtige Putin-Maske

Assayas beleuchtet in seiner Romanverfilmung „The Wizard of the Kremlin“ den Aufstieg Putins zum russischen Präsidenten. Entstanden ist eine ausführliche Analyse darüber, wie Macht in Russland gegenwärtig organisiert ist – aus westlichem und naturgemäß fiktionalisiertem Blick. Interesse am Charakter Putin hat Assayas nur bedingt, der Präsident bleibt maskenhaft. Erzählt wird stattdessen aus der Perspektive des fiktiven Beraters Wadim Baranow, der Putins früherem Chefberater Wladislaw Surkow nachempfunden ist. 

Durch die chaotischen postsowjetischen Jahre bewegt sich Paul Dano in der Figur des Beraters bis in den innersten Machtzirkel Putins hinein. Der Thriller basiert auf einem vor dem Ukrainekrieg verfassten Buch von Giuliano da Empoli. Wie der Roman erzählt auch der Film von einem Herrscher, der sich letztlich durch den Krieg definiert. Putin wird durchgehend als Zar bezeichnet, ein Politiker, der die imperialistische Tradition Russlands fortführt.

Guillermo del Toro: „Frankenstein“ passt in unsere Zeit

„The Wizard of the Kremlin“ ist eine Warnung vor menschlicher Überheblichkeit – wie auch die Wettbewerbsfilme „Frankenstein“ und „Bugonia“. Der berühmte Horror-Roman von Mary Shelley über eine vom Menschen geschaffene Kreatur, die brutal ins Leben ihres Schöpfers eingreift, zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn Menschen versuchen, über allem zu stehen.

Hollywood-Star Oscar Isaac verkörpert Victor Frankenstein als so charismatischen wie arroganten Strippenzieher, eine Art irrlichternden Rockstar. „Er hat die Lust, zu etwas Größerem vorzustoßen, und kann nicht akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind“, beschrieb Isaac die Figur im Interview der dpa. 

Zwar hatte der dreifache Oscar-Preisträger del Toro eine Verfilmung des Romans schon lange geplant. Doch dass der Blockbuster erst jetzt herauskommt, passe zur Weltlage, sagte der Mexikaner im Interview: „Ein Film, in dem es heißt: „Nur Monster spielen Gott“ – treffender könnte es aktuell nicht sein.“

Emma Stone wird von wahnsinnigen Männern terrorisiert

Völlig größenwahnsinnig agiert auch Jesse Plemons in „Bugonia“, einem der frühen Venedig-Favoriten des diesjährigen Wettbewerbs. Der Goldene-Löwen-Gewinner Lanthimos erzählt darin von zwei Verschwörungsideologen (u.a. Plemons), die eine Unternehmenschefin (Emma Stone) entführen. Sie glauben, dass sie sei kein Mensch, sondern ein Alien ist, das die Erde terrorisiert. 

Auf brutale Weise versuchen die beiden Männer, die Frau zu zwingen, Kontakt zu ihrem „Mutterschiff“ und den Alien-Strippenziehern herzustellen und verirren sich dabei in den absurdesten Überzeugungen. „Nicht viel an dieser Dystopie ist fiktiv“, sagte Lanthimos. „Das meiste ist eine Reflexion unserer tatsächlichen Welt.“ 

Wie bei Lanthimos üblich ist der Film grotesk, brutal, lustig. Ohne zu viel zu verraten kommt er am Ende zu einer ähnlichen Pointe wie „Frankenstein“: Das Ungeheuerlichste in unserem Leben sind keine jenseitigen Kräfte, sondern das, was uns am vertrautesten ist: der Mensch selbst.

Wie bleibt Christoph Waltz hoffnungsvoll in monströsen Zeiten?

Das Kino hält der Welt derzeit einen Spiegel vor – mit einem erschütternden Befund über unsere Wirklichkeit. Bleibt die Frage: Und was nun? Journalisten, so erklärt es der fiktive KGB-Offizier Putin im Film, seien im Grunde wie Spione: Sie sammeln Informationen und präsentieren sie der Öffentlichkeit

Und dieser steht frei, wie sie damit umgeht. Es liegt nahe, die anwesenden Hollywood-Stars in Venedig nach Lösungen zu fragen. Del Toro, zweifellos ein Romantiker, sagt: „Wir leben in einer Zeit des Terrors und der Einschüchterung. Und die Antwort, zu der auch die Kunst gehört, ist die Liebe.“ Andere sind da zynischer. Frage an Oscar-Preisträger Christoph Waltz, der in „Frankenstein“ einen Waffenhändler verkörpert: Wie bleiben Sie hoffnungsvoll in diesen monströsen Zeiten? Seine Antwort: „I don’t.“