Newsletter „GPS“: Die Frau, die Merz am meisten reizt

stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz ordnet jeden Mittwoch in seinem Briefing ein, worüber Deutschland spricht – und empfiehlt Ihnen die wichtigsten Inhalte aus der Redaktion.

Liebe Leserinnen und Leser, 

schön, dass wir uns wieder lesen. In dieser Ausgabe des GPS-Newsletters wollen wir gemeinsam prüfen, ob das aktuelle „Bullshit-Bingo“ zwischen Kanzler Friedrich Merz und SPD-Sozialministerin Bärbel Bas den deutschen Sozialstaat retten wird. Wir gucken noch mal nach, ob die Deutschen Robert Habeck vermissen werden – und weil es nicht nur düster zugehen kann, singen wir laut jubelnd „Viva Las Vegas“.

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Themen der Woche

Man kann Friedrich Merz ziemlich leicht ärgern, das ist bekannt. Merz hat an sich gearbeitet, als er Kanzler wurde, er wollte sich nicht mehr so leicht ärgern lassen. Aber manchmal ist der neue Herr Merz eben doch der alte Merz, sehr reizbar eben. So war Merz gerade wieder im ZDF-Sommerinterview zu erleben, als es auch um eine Kollegin aus seiner Regierung ging.

Denn die Frau, die Merz gerade am meisten reizt, sitzt in seinem Kabinett. Und zwar nicht auf irgendeinem Posten, sondern auf dem mit dem höchsten Einzeletat: Bärbel Bas, Bundesministerin für Arbeit und Soziales.

Merz hält viele soziale Wohltaten nicht mehr für finanzierbar, Bas hielt dagegen: Das sei „Bullshit“. Im heißen Herbst will der Kanzler die Sozialkassen sanieren, Bas im Prinzip auch. Über den Weg spielen sie aber gerade Bullshit-Bingo, wie Nico Fried schreibt. 

Zwei wie Pech und Schwefel ringen um Reformen: Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD)
© stern-Montage: Fotos: Picture Alliance (2)

Bas bekräftigt ihre Kritik an Forderungen nach Kürzungen am Sozialstaat jedenfalls auch, nachdem Merz erkennbar sauer geworden war. „Ich muss das zurückweisen, denn wir sind ein reiches Land“, sagte sie meinen Berliner Kollegen. „Und zu sagen, wir müssen die soziale Sicherung streichen, ist falsch. Wir müssen gemeinsam für mehr Wachstum arbeiten, das ist der richtige Weg.“ Sie beklagte: „Jetzt kommt so ein Zungenschlag rein, dass die Wirtschaft nicht läuft, weil die Sozialsysteme zu teuer sind. Das sehe ich nicht so. Da musste ich jetzt auch mal gegenhalten.“

Wir Journalisten neigen ja zur Vereinfachung, eine Berufskrankheit. Daher war mein erster Impuls, die aktuelle Debatte um den deutschen Sozialstaat als ein Duell darzustellen. Auf der einen Seite: Kanzler Friedrich Merz, Ex-Blackrock-Manager und Besitzer eines Flugzeugs, jener Mann, der Deutschland wieder mehr Anpacken verordnen will und viele Sozialstaats-Facetten für nicht länger finanzierbar erachtet.  Auf der anderen Seite Bärbel Bas, SPD-Vorsitzende aus Duisburg, Tochter eines Busfahrers. Sie schrieb Merz einmal besorgt, er könne doch nicht Verzicht predigen und in der Privatmaschine fliegen. Der eine will „Basta“ sagen zum Sozialstaat bekannter Art, die andere sagt, solche Pläne seien Bullshit. Doch schaut man genauer hin, sind Merz und Bas vergleichbaren Fliehkräften ausgesetzt. 

Merz wollte die AfD halbieren, doch deren Einfluss reicht längst weit in seine eigene Partei hinein. Und Bas sieht, wie selbst im Ruhrgebiet die Arbeiter von der SPD zur selbst ernannten Alternative strömen. Sie spüren beide das Dilemma, das der Soziologe Steffen Mau so beschrieben hat: „Im gegenwärtigen politischen Diskurs haben die rechten Populisten jedenfalls ein Angebot in der Tasche, das kaum zu schlagen zu sein scheint, weil es die Menschen von Zumutungen entlastet. Sie sagen: „Die Welt muss verändert werden, um sich an dich anzupassen!“ Andere, etwa jede Bundesregierung mit Reformwillen, hätten hingegen eine andere Botschaft: „Du musst dich ändern, um dich an eine sich wandelnde Welt anzupassen!“ 

Eine Zumutung also statt einer Entlastung, für alle Lager: „Das kann den Aufruf beinhalten, sich für den Markt zu optimieren, aber auch die Aufforderung, traditionelle Werte abzustreifen und sich auf eine diverser werdende Kultur einzulassen.“  Gerade bei Menschen, die gefühlt einen Transformationsgalopp durchgemacht hätten, treffe diese Botschaft auf Erschöpfung, so Mau, auf eine Haltung des „Nicht schon wieder“. Merz und Bas klingen verschieden, doch sie ängstigt Ähnliches: ein „Nicht schon wieder“ ihrer jeweiligen Klientel. Hier lesen

Wir haben nun viel von rechten Populisten gesprochen. Doch einen gewissen Hang zur Vereinfachung kann man auch den Wortführern auf der Linken nicht absprechen. Sie wirken nur meistens fröhlicher dabei, zumindest ist das so bei Heidi Reichinnek, die im vergangenen Bundestagswahlkampf die Linke als Social-Media-gewiefte Spitzenkandidatin in ungeahnte Höhen geführt hat. Miriam Hollstein und Martin Debes wollten von ihr erfahren, ob das nur Hype war oder doch linke Substanz – und erfuhren dabei auch, wie viele Anfeindungen, Morddrohungen und sexuelle Anspielungen bei Reichinnek in der Regel eingehen. Hier lesen

Heidi Reichinnek, 37, führt seit März die Linken-Fraktion im Bundestag – und hat 780.000 Follower auf Instagram
© Julia Steinigeweg

Zum Abschied von Robert Habeck ist eigentlich alles gesagt, allerdings noch nicht von allen. Gestatten Sie mir daher ein paar letzte Gedanken. Habecks blutleerer Auftritt bei „Markus Lanz“ wehte mich gar nicht so unangenehm selbstverliebt an wie manche, eher als ungewöhnlich kraftlos. Wenn die erste Reaktion auf eine Wahlniederlage das Lamento ist, man sei halt mitsamt seiner Politikidee abgewählt worden, wo bleibt dann der Kampfgeist der Progressiven?

Sollte ich jemals Zweifel daran gehegt haben, dass Habeck polarisiert, sind diese seit Montagmorgen ausgeräumt. Da erreichten unsere Redaktion nämlich die Ergebnisse einer exklusiven Umfrage, die wir beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben hatten. Die Frage an die Bundesbürger lautete: Wünschen Sie sich eine Rückkehr von Habeck in die Politik? – nachdem er ja gerade seinen Ausstieg ebenso wortreich wie wehleidig begründet hatte. Unser Umfrageexperte Lorenz Wolf-Doettinchem leitete die Zahlen mit dem Verweis weiter, die Sehnsucht der Deutschen nach einer Rückkehr von Habeck sei „doch sehr begrenzt“ – weil 55 Prozent sich keine wünschten, nur 35 hingegen schon. Unser Politikchef Jan Rosenkranz konterte umgehend, das sehe er anders. Immerhin wünschten sich nicht nur sehr viele Grüne (90 Prozent), sondern gar mehr als ein Viertel der Unionswähler ein Comeback. Habeck wäre aus meiner Sicht gut beraten, jede Rückkehr kategorisch auszuschließen, denn „die größte Sehnsucht gehört stets dem Unerreichbaren“, wusste schon das Sprichwort. 

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Als Bürger – und Leser – haben wir alle nun zwei Möglichkeiten. Entweder wir hören sofort auf Friedrich Merz und optimieren uns schleunigst selbst. Dann kann Ihnen dieser Text helfen:

„Muskel-Geheimnis: Dieser Mann macht Tom Cruise und Jeff Bezos superfit.“

Oder aber Sie werden, so geht es zumindest bisweilen mir, ganz ungeheuer müde angesichts der steten und durchaus ermüdenden Debatten. Falls es Ihnen auch so geht, bitte einfach hier entlang, eine akute Einschlafhilfe: „Viele Menschen machen sich zu viele Gedanken über gesunden Schlaf. Sie verkrampfen dabei. Tatsächlich gibt keine vorgeschriebene Dauer – und viele Arten, gut zu schlafen.“ Hier klicken

Video der Woche 

Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft hat sich das Ziel gesetzt, bei der Europameisterschaft Gold zu gewinnen. Beim stern zeigen wir in Kooperation mit RTL die Highlights jeder Partie. Am Abend spielt die Mannschaft um Kapitän Dennis Schröder gegen Gastgeber Finnland. Hier geht es zu allen Highlights.

Bild der Woche

© Bertie Gregory / Wildlife Photographer of the Year Antarktis
Auf Kante
Noch watscheln die jungen Kaiser-pinguine am Rande der Ekström-Eisplatte in der Ostantarktis. Doch bald werden sich dramatische Szenen abspielen: Immer mehr Küken drängen sich an der Eiskante zusammen, die vordersten stemmen sich gegen die von hinten schiebende Masse. Dann stürzen die ersten aus 15 Metern Höhe ins Wasser, gehen unter – und schwimmen! Es ist ihr erster Sprung ins Meer. Normalerweise suchen sich Pinguine dafür Eisrampen, von denen sie rutschen können, doch diese Gruppe verpasste den Weg und steht nun am Abgrund. Für sein Bild bekam der Fotograf Bertie Gregory den Preis „Wildlife Photographer of the Year“.

Kurz und Knapp

Eine Lehrerin aus Wesel war beinahe 16 Jahre krankgeschrieben – bei vollen Bezügen. Der Fall zeigt die absurden Seiten des Beamtenrechts. Den Schaden haben alle Beteiligten.Leon Englers Roman „Botanik des Wahnsinns“ geht jeden an, der Angst vor den Psychosen seiner Familie hat. Der Psychologe Engler und seine Hauptfigur haben manches gemeinsam.„Cycle Syncing“ passt Ernährung und Sport dem weiblichen Zyklus an. Es verspricht mehr Energie und weniger Beschwerden. Doch funktioniert das wirklich?

Rapper Apache 207 veröffentlicht mit „21 Gramm“ sein viertes Album
© Sony Music

Musiker Apache 207 legt seine Wunden offen: Auf seinem neuen Album „21 Gramm“ klingt der Rapstar wie ein suchender Zweifler. Was fehlt einem, der alles besitzt?Evolution des Gehirns: Die Evolution hat unterschiedlichste Gehirne hervorgebracht: vom Nervenzellknoten der Ur-Würmer bis zum komplexen Denkorgan der Menschenaffen. Eine GEO-Zeitreise durch die Hirnentwicklung.

Till Mette

Frage der Woche

Der Anteil der Bundesbürger, der mit der Arbeit von Bundeskanzler Friedrich Merz zufrieden ist, liegt mit aktuell 29 Prozent wieder unter der 30-Prozent-Marke. Eine deutliche Mehrheit (66 %) ist weiterhin mit seiner Arbeit nicht zufrieden. Mehrheitlich zufrieden mit Merz‘ Arbeit sind unverändert nur die der Unionsparteien noch verbliebenen Anhänger (69 %). Von den Anhängern der mitregierenden SPD ist weiterhin eine deutliche Mehrheit (60 %) nicht mit der Arbeit des Bundeskanzlers zufrieden. Noch weniger zufrieden mit Merz‘ Arbeit sind die Anhänger der Oppositionsparteien Grüne (72 %), Linke (89 %) und AfD (94 %). Mich interessiert aber vor allem, was Sie denken. Sind sie mit der Arbeit des ja immer noch recht neuen Kanzlers zufrieden? Schreiben Sie mir gerne Ihre Gedanken an [email protected]

Gefühlslage

Wenn es um Las Vegas geht, versteht Ihr GPS-Autor keinen Spaß. Als in unserer Heftkonferenz Textchef Oliver Creutz lapidar titeln wollte: „Die Stadt der Sünde ist zum Touristen-Magnet geworden“, musste ich einfach intervenieren. Denn Las Vegas hat Touristen aus aller Welt angezogen, seit es im Jahr 1905 entstand, selbst wenn es zwischenzeitlich mal ein Mafia-Hort war, natürlich auch ein Sündenpfuhl – doch stets war es eine Anlaufstelle für an den Spielteufel verlorene Gestalten wie mich. Vor wenigen Monaten erst habe ich dort einen wichtigen runden Geburtstag gefeiert, denn: Wo sonst? Daher macht mir gute Laune, dass ich letztlich gegen Creutz die Zeile „Viva Las Vegas!“ durchsetzen konnte – das ist übrigens auch der Titel eines Songs und Films, für den sich Elvis Presley völlig zu Unrecht schämte. Hier lesen

PS:

Ich bin sehr froh, dass der Mittwoch unser gemeinsamer GPS-Tag ist. Mittlerweile ist aber eigentlich jeder Tag ein stern-Tag, denn digital informieren wir Sie rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Wollen Sie in der Nachrichtenflut noch besser den Überblick behalten? Dann haben wir ein ganz besonderes Angebot für Sie, den Morgenstern – unseren Newsletter zum Tagesstart. Von Donald Trump bis Heidi Klum: Wir verraten Ihnen, was am Morgen wirklich wichtig ist und wer sich nur wichtig macht, kompakt, fundiert, unterhaltsam. Unser Briefing landet von Montag bis Freitag um 6.30 Uhr in Ihrem Postfach, geschrieben von garantiert ausgeschlafenen Kolleginnen oder Kollegen. Hier kommen Sie zur Anmeldung

Ich wünsche Ihnen eine starke Woche.

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Herzlichst
Ihr GPS