Markus Söder und Hendrik Wüst: Rivalen auf Schmusekurs

Markus Söder und die NRW-CDU – da war doch was? Jetzt darf der CSU-Chef sogar bei Hendrik Wüst im Wahlkreis auftreten. Auf einen guten Wahlkämpfer will man nicht verzichten.

Der Empfang ist erwartungsvoll. An der Rückwand heißt es „Servus“, auf den Stühlen liegen Winkelemente mit weiß-blauen Rauten bereit, und die Musiker des Isselburger Blasorchesters tragen Lederhosen. Zum Einzug der politischen Prominenz spielen sie jetzt den Bayerischen Defiliermarsch.

Hendrik Wüst und Markus Söder grüßen huldvoll in die Menge, Dutzende Handy-Kameras filmen das Duo. Zehn Tage vor der Kommunalwahl begeht die CDU Nordrhein-Westfalen in einer Lagerhalle im Industriegebiet von Bocholt einen Höhepunkt ihres Wahlkampfs. Und der CSU-Chef ist der Ehrengast. 

Moment mal, Markus Söder und Nordrhein-Westfalen – war da nicht was?

Vier Jahre nachdem Söder Armin Laschet als Kanzlerkandidaten demontierte, hat Ministerpräsident und CDU-Landeschef Hendrik Wüst den CSU-Kollegen ausgerechnet in seinen Heimatwahlkreis eingeladen. Was hat er sich denn dabei gedacht? Offenbar ist Wüst derzeit in Schmuselaune. Der Wahlkampf macht’s. Erst Anfang der Woche empfing der Ministerpräsident den Bundeskanzler zu einem überaus harmonischen Antrittsbesuch in Düsseldorf, also jenen Friedrich Merz, den er einst so auf die Palme brachte, dass der beinahe den CDU-Vorsitz hinschmiss. Aber Markus Söder ist natürlich noch eine Nummer härter.

Erst die Sorgen, dann die Harmonie

Die lokale Presse hat Hendrik Wüst jedenfalls nicht hinter sich. Söder sei der Mann, der mit der Sabotage von Laschets Wahlkampf 2021 in Nordrhein-Westfalen „verbrannte Erde hinterlassen“ habe, schrieb das „Bocholt-Borkener Volksblatt“ schon vorab. Der CSU-Mann stehe nicht für Gemeinsamkeit, sondern für „Bayern über alles“, für eine „weiß-blaue Ego-Show“. Er sei kein Sympathieträger, sondern „ein Spalter“.

Für eine gewisse Spannung ist also gesorgt. In der Einladung der CDU-Pressestelle fand sich ein zweideutiger Satz: „Wegen der Teilnahme des bayerischen Ministerpräsidenten gelten verstärkte Sicherheitsvorkehrungen.“ Und über den Parkplatz der Veranstaltungshalle kurvt an diesem Nachmittag eine Einheit des Katastrophenschutzes vom Roten Kreuz.

Aber drinnen erlebt man an diesem Donnerstagnachmittag natürlich die ganz große Harmonie. „Was ist besser als ein Ministerpräsident?“, fragt Hendrik Wüst. „Zwei Ministerpräsidenten.“ Er erinnert daran, dass auch er schon in Bayern im Wahlkampf aufgetreten sei. So sei die Idee zur Gegeneinladung entstanden. Die Gegend um Bocholt habe Vollbeschäftigung, quasi bayerische Verhältnisse. Bayern sei Heimat und Hightech, Nordrhein-Westfalen wandele sich von der Kohle zur KI. Markus Söder höre auf die Menschen und bringe ihre Sorgen auf den Punkt. Das alles mündet in die Eloge: „Lieber Markus, dass Du so bist, wie Du bist, ist gut und eine große Stärke der CSU.“

Söder (58) und Wüst (50) kennen sich seit gemeinsamen Zeiten in der Jungen Union. Zwischen 2000 und 2003 standen beide an der Spitze ihrer jeweiligen Landesverbände. Söder hat sich machtbewusst und politisch überaus wendig nach oben geboxt. Wüst bewegte sich ziemlich geradlinig von einem strammen Konservativen bis weit in die Mitte, gibt sich gerne als moderner Konservativer, wenn auch manchmal ein bisschen gekünstelt. Als ein kleiner Junge vor seinem Rednerpult rumspaziert, sagt Wüst: „Schön, dass er da ist. Wir machen doch Politik für die Zukunft.“

Womöglich hat sich Markus Söder selbst eine Art Konfrontationstherapie auferlegt

Der letzte bayerische Ministerpräsident in Bocholt war 1953 Franz Josef Strauß. Wenn man bedenkt, dass es auch Strauß nie zur Kanzlerschaft gebracht hat, steht Söder in dieser Hinsicht durchaus in der Kontinuität seines Idols. Freilich ist Söder nicht das erste Mal seit dem Zerwürfnis 2021 in NRW. Schon im Jahr danach wagte er sich zur Unterstützung des Landtagswahlkämpfers Wüst nach Olpe. Und im Januar 2025 besuchte er Friedrich Merz zum Weißwurstfrühstück im Sauerland.

Womöglich hat sich Söder selbst eine Art Konfrontationstherapie auferlegt, setzt sich also immer wieder bewusst dem aus, was ihn am meisten fertig macht. Er musste die Kanzlerkandidatur Armin Laschet überlassen, er musste die Kanzlerschaft Friedrich Merz überlassen. Und als Nächstes kommt dann Hendrik Wüst?

Söder dankt für die Einladung und für die lobenden Worte. „Sie waren alle richtig“. Es gebe zwar längere Ministerpräsidenten in Deutschland, „aber keine größeren“. Als ihn und Wüst. Und als wirtschaftsstärkste Länder hielten Bayern und Nordrhein-Westfalen zusammen. „Geht’s NRW gut, geht‘s Bayern gut, dann geht es Deutschland auch gut.“ Und so weiter. 

Söder lobt sich für seine Kommunalpolitik und berichtet, er habe sich dafür eingesetzt, dass im Bund 100 Milliarden Euro für die Kommunen zur Verfügung stehen. Er redet über die Wirtschaftslage und dass er nicht bereit sei, „den Abstieg Deutschlands einfach hinzunehmen“. Er sagt, die Verdächtigen im Tatort dürften nicht immer die Unternehmer sein, Leistung müsse sich lohnen. Und natürlich zieht er ständig Vergleiche mit dem Fußball. Ein Witzchen hier über Olaf Scholz und die Augenklappe als Höhepunkt seiner Kanzlerschaft, ein Späßchen da über Haselmäuse und ihr Liebesleben, das Planungsverfahren im Straßenbau nicht im Weg stehen dürfe.

Für Söders Verhältnisse ist es streckenweise eine geradezu ernsthafte Rede. Putin, Wehrpflicht, christliche Feiertage. Man merkt, dass er im Bund jetzt nicht mehr Opposition ist und ihm mit den Grünen der Lieblingsgegner abhandengekommen ist. Jetzt ironisiert er wieder häufiger sich selbst. Immer werde gesagt, der Söder habe in der Koalition so viel durchgesetzt, sagt Söder. „Das stimmt.“ Mütterrente und andere Milliardenvorhaben. „Aber“, sagt Söder, „ich tu’s auch für Euch.“ Die Leute finden’s lustig. Das zählt. „Gott schütze Bayern und NRW“, sagt er am Ende.

Seit Jahren überspielen Wüst und Söder ihre offenkundige Rivalität

Alles bestens also zwischen der NRW-CDU und der Söder-CSU. Nach dem 14. September geht’s dann wieder weiter wie bisher. Seit Jahren überspielen Wüst und Söder reichlich künstlich ihre offenkundige Rivalität. Als Ministerpräsidenten konkurrieren die beiden um die deutsche Olympia-Bewerbung, Söder setzt sich für München ein, Wüst für das Ruhrgebiet. Der CSU-Chef Söder hasst die Grünen, der CDU-Mann Wüst regiert mit ihnen. Bayern zahlt in den Länderfinanzausgleich ein, Nordrhein-Westfalen bekommt Geld heraus. Wüsts Schulministerin will den Kalender der Sommerfeien zum Ärger Söders zulasten Bayerns verändern („No Chance“, sagt Söder in Bocholt dazu und erntet ein paar Buh-Rufe). Dafür hat Bratwurst-Freund Söder kürzlich zugegeben, dass er Wüst um dessen Figur beneide. Der könne „endlos essen und bleibt immer schlank“. 

Das Schlusswort hält Jens Spahn. Er ist hier der CDU-Kreisvorsitzende. Bei der Einfahrt aufs Gelände konnte er auf der anderen Straßenseite ein großes Logistiklager der Firma Fiege sehen, die wegen teurer Maskengeschäfte mit dem einstigen Gesundheitsminister Spahn in die Schlagzeilen geriet. Aber das spielt heute natürlich keine Rolle. Spahn trägt einen Janker. „Hendrik Wüst und Markus Söder“, sagt Spahn. „Hier fügt sich zusammen, was zusammengehört.“ Na dann.