Sachbuch: Wer Staub für ein Ärgernis hält, irrt sich gewaltig

„Ohne Staub wäre vieles nichts“, schreibt Silke Schlichtmann und belegt das mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. In ihrem (Kinder-)Sachbuch werden Partikel zu Superhelden.

Sachbücher müssen nicht langweilig sein und auch nicht schwer verständlich. Das Buch „Staub“ tritt den Beweis an. Seine Autorin Silke Schlichtmann und die Illustratorin Maja Bohn haben dafür gesorgt, dass sich dem ungeliebten Staub plötzlich ganz viel abgewinnen lässt. Die Bedeutung dieser kleinen Partikel für unser Leben ist so immens wie überraschend, denn von vielem, das man hier erfährt, hatte man vor der Lektüre keine Ahnung. Das fängt schon faszinierend an: Wussten Sie zum Beispiel, dass es die Wissenschaft „Staubforschung“ gibt und man, wenn man in dem Bereich arbeitet, ein Staubforscher ist? 

„Ich habe ein Interview mit einem Staubforscher gelesen“, erzählt Silke Schlichtmann. „So bin ich überhaupt erst auf das Thema gekommen und habe begonnen zu recherchieren. Vorher habe ich Staub eigentlich nur unter diesem Lästigkeitsaspekt betrachtet – und Feinstaub als gefährlich. Ich wusste beispielsweise nicht, dass Schneeflocken, genauso wie Regen, Staubpartikel als Kondensationskern benötigen!“ 

Das wissen wohl die meisten Menschen nicht. Und was wären wir ohne Regen und Schnee? Gar nicht da, vermutlich!

„Staub“ von Silke Schlichtmann (Autorin) und Maja Bohn (Illustration), Tulipan Verlag, 48 Seiten, gebunden, 18 Euro, erhältlich bei Anbietern wie Amazon oder Thalia
© TulipanAls Kind fragt man sich viele Sachen, die man als Erwachsener als gegeben hinnimmt, über die man dann meist gar nicht mehr groß nachdenkt“, sagt Schlichtmann. „Vorletzten Sommer passte ich auf einen kleinen, dreijährigen Jungen auf. Wir waren zusammen in einer alten Scheune. Ich zeigte ihm, wie durch einen Spalt in der Mauer Sonnenlicht hereinkam und man in einem langen, breiten Lichtstrahl die Staubpartikel tanzen sehen konnte. Er war völlig fasziniert, wollte wissen, was das ist, hat versucht, die Sonnenstäubchen einzufangen. Am liebsten hätte er sie mit nach Hause genommen. Das war vielleicht der Moment, in dem ich mir endgültig sicher war, dass ich über Staub ein Buch auch für Kinder schreiben möchte.“

Das allererste (Kinder-)Sachbuch über Staub

Dass es noch kein Kindersachbuch zum Thema Staub gab, hat Schlichtmann überrascht – liegt das Thema doch quasi auf der Straße oder eben unterm Bett. Dabei war es von Anfang an ihr Ziel, „für Kinder und Erwachsene zu schreiben, auch weil ich im Vorfeld auf so viele erwachsene Menschen traf, für die vieles, was ich bei der Recherche erfahren hatte, ebenso verblüffend und neu war wie für mich“. In gewisser Weise hat Schlichtmann, wie sie sagt, das Buch auch „für Menschen mit perfektionistischem Putzzwang“ verfasst, denn „vielleicht entspannt sie’s ja, wenn sie zur Abwechslung mal von den aufregend-schönen Seiten dieses besonderen Stoffs erfahren“. 

Silke Schlichtmann, 57, hat bereits einige Kinderbücher geschrieben, mit „Staub“ präsentiert sie ihr erstes Sachbuch. Auf die Frage, ob sie durch die neue Liebe zum Staub nun zu Hause weniger putzt, antwortet sie allerdings: „Nein, nicht wirklich.“
© Carmen Palma Schlichtmann selbst hat das Staubwischen inzwischen zwar nicht eingestellt, aber sie sieht die ungewollte Materie unter Betten, Schränken, auf dem Bücherregal und in der verstecktesten Ecke inzwischen mit ganz anderen Augen an. Außerdem weiß sie nun auch, dass häufiges Staubwischen, sofern man nicht gerade unter Hausstauballergie leidet, aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht notwendig ist. Ein, wie sie findet, „für den Alltag doch recht entlastendes Wissen“.

Faszination Staub

Ziemlich überzeugend – und am Ende geradezu mystisch – klingt die Aufzählung der Gründe, die Silke Schlichtmann an Staub so faszinieren: „Seine besonderen physikalischen Eigenschaften. Dass er der Schwerkraft viel weniger unterworfen ist als das meiste andere, womit wir im Alltag zu tun haben, dass dafür aber die Oberflächenkräfte stärker wirken, kurz: das Schweben und Kleben. Und natürlich auch dieses Sich-an-der-Schwelle-Befinden zwischen sichtbar und unsichtbar.“ 

Dass sich durch Staub in der Kriminologie viel herausfinden lässt, ist ebenfalls eine Erkenntnis, die so manchen überraschen dürfte. Jeder Mensch hat eine eigene Staubwolke und trägt dadurch mehr Informationen mit sich herum, als er glaubt – und so manchem Verbrecher bewusst sein dürfte. „Der Mensch ist eine einzige große Staubquelle“, schreibt Schlichtmann in ihrem Buch. Hautschuppen, Haare, Fasern der Kleidung, Bakterien und Viren gehören zu unser persönlichen „Wolke“, wir selbst erzeugen immerzu neuen Staub.

Wie viele andere Wissenschaften ihre Erkenntnisse auf der Basis von Staub gewinnen, ist ebenso erstaunlich, wird hier vorab jedoch nicht verraten. Silke Schlichtmann hat mit diesem humorvollen und wunderschön gezeichneten Buch (ohne Zeigefinger-Infokästen) tatsächlich eine Lanze für die Staubwelt gebrochen, die je nach Land und Herkunft übrigens von ganz unterschiedlichen Tieren bevölkert wird: „Neben der deutschen Staubmaus finden wir den österreichischen Staublurch, den englischen Staubhasen (dust bunny) und das französische Staubschaf (mouton de poussière).“ Klingt ganz possierlich, oder?

Tulipan gehört zur Verlagsgruppe Penguin Random House, die wie der stern Teil des Bertelsmann-Konzerns ist.