Fatih Akin kehrt mit „Amrum“ zurück ins Kino und zeigt ein stilles, bildgewaltiges Drama. Ein Kinobesuch, der im Gedächtnis bleibt.
Nach Erfolgen wie „Gegen die Wand“, „Tschick“ und „Rheingold“ zeigt Regisseur Fatih Akin jetzt seine sanfteste Seite. „Amrum“ ist kein lautes Kinoereignis, kein Spektakel, sondern ein zutiefst menschliches Drama, das die letzten Tage des zweiten Weltkriegs auf der nordfriesischen Insel abbildet. Inspiriert von den Kindheitserinnerungen seines Mentors Hark Bohm, erzählt Akin die Geschichte des zwölfjährigen Nanning.
Ein Film so einfach wie Weißbrot, Butter und Honig
Nanning (berührend gespielt von Jasper Billerbeck) lebt mit seiner hochschwangeren Mutter Hille (Laura Tonke), seinen beiden Geschwistern und Tante Ena (Lisa Hagmeister) auf der Insel Amrum. Sein Vater ist ein hochrangiger Funktionär der Nationalsozialisten, seine Mutter glühende Anhängerin Hitlers.
Doch als der Führer stirbt, bricht nicht nur ein Regime zusammen, auch Hilles Welt stürzt ein. Nach der Geburt ihres vierten Kindes verfällt seine Mutter in Depressionen. Das Einzige, was sie essen will: Weißbrot mit Butter und Honig. Diese einfache Mahlzeit für seine Mutter zu besorgen, wird zu Nannings Mission.
Die Ambivalenz der Nachkriegszeit
Akin erzählt diese Geschichte nicht mit Pathos, sondern mit zarter Beobachtung. Sein Blick bleibt auf der kindlichen Perspektive: die Reste einer Ideologie, die sich immer mehr verliert, der Konflikt zwischen Loyalität und moralischem Erwachen.
Jede Begegnung, die Nanning auf der Insel erlebt – wie zum Beispiel mit Bäuerin Tessa (Diane Kruger), mit seinem besten Freund Hermann und dessen Opa Arjan (Lars Jessen) oder auch seinem Nazi-Onkel, werden für das Kino-Publikum zu einem Spiegel des ambivalenten Erlebens eines Kindes in der Nachkriegszeit.
Ein Film, der leise nachklingt
Statt den Zuschauer mit einem Historiendrama zu erschlagen, setzt Akin auf subtile Zwischentöne in Kombination mit bildgewaltigen Eindrücken: Seine Regie ist zurückhaltend, aber präzise, die Kamera von Karl Walter Lindenlaub (bekannt aus „Independence Day“) fängt währenddessen die Amrumer Weite in atemberaubenden Bildern ein. Genau darin liegt die Kraft des Films, der auf einem handgeschriebenen Drehbuch von Hark Bohm basiert.
Im großen Ganzen erinnert „Amrum“ daran, dass Kriege, wenn sie enden, zwar den langersehnten Frieden bringen, aber vor allem für die nachfolgenden Generationen zum Teil Nachwirkungen und Folgen haben, die aus Kinderperspektive nicht nachvollziehbar sind. Es ist ein Film über das Erwachsenwerden in einer Welt, die gerade zerbricht und in deren Zerbrechen man sich als Kind erst zurechtfinden muss.
„Amrum“ ist kein Film, den man „schnell mal eben“ schaut. Er ist einer, dem man Zeit geben sollte, nachzuklingen. Wer Fatih Akin bisher als den Regisseur für große Emotionen und laute Konflikte kannte, wird überrascht sein: Dieses Werk ist still, fast schon poetisch. Ein Besuch im Kino ist zu empfehlen. Es ist ein Film, der uns an etwas erinnert.
„Amrum“ startet am 9. Oktober in den Kinos.