„Ultima Ratio“: SPD will Stahlindustrie notfalls durch Staatsbeteiligungen schützen

Die Stahlindustrie steht massiv unter Druck. Vor dem geplanten Gipfel im Kanzleramt zeigt sich die SPD alarmiert – und nach stern-Informationen zu drastischen Maßnahmen bereit. 

Vor dem Stahlgipfel im Kanzleramt drängt die SPD-Bundestagsfraktion auf mehrere Maßnahmen zum Schutz der Stahlindustrie und will als „Ultima Ratio“ auch den Staat in die Stahlproduktion einsteigen lassen.

„Der Staat kann sich das Recht vorbehalten, in begründeten Einzelausnahmefällen in die Stahlproduktion einzusteigen“, heißt es in einem internen Entwurf für ein Positionspapier, das am Dienstag von der SPD-Fraktion beschlossen werden soll und dem stern vorliegt. „Um heimische Kapazitäten zu sichern, strategische Abhängigkeiten zu vermeiden und Investitionen in klimaneutrale Produktionsprozesse zu ermöglichen, muss ein staatlicher Einstieg in die deutsche Stahlproduktion in begründeten Einzelausnahmefällen eine Option sein.“ Durch den Schritt sollen notfalls strategische Abhängigkeiten vermieden, Mitentscheidungsrechte gesichert und die Sicherheitsinteressen Deutschlands gewahrt werden.

Die Zukunft der Stahlindustrie müsse aber vor allem durch konkrete industriepolitische Maßnahmen gesichert werden. Deshalb stehe der Staatseinstieg „am Ende unserer Prioritäten – als ergänzendes Instrument für absolute Ausnahmefälle, nicht als Ersatz für eine aktive Industriepolitik.“ 

Stahlbranche in Deutschland unter Druck

Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl von August arbeiten in Deutschland etwa vier Millionen Menschen in stahlintensiven Branchen, davon rund 80.000 für die Stahlindustrie direkt. 2024 verzeichnete die Industrie zum zweiten Mal in Folge einen Umsatzrückgang – minus 5,3 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr auf 45,3 Milliarden Euro. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will daher im Herbst einen „Stahlgipfel“ abhalten, um die Probleme der Branche anzugehen. Die Sozialdemokraten drängen seit Längerem auf einen Dialog mit der Branche.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie sei „akut gefährdet“, heißt es in dem Entwurfspapier. Verantwortlich seien weltweite Überkapazitäten, zunehmende Handelskonflikte und protektionistische Zölle. Hinzu kämen im internationalen Vergleich hohe Energiepreise und ein „enormer Investitionsbedarf“ in den klimaneutralen Umbau der Produktion. „Wenn es uns nicht gelingt, die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie wieder herzustellen, droht der Verlust tausender Arbeitsplätze“, warnen die Genossen.

Die Sozialdemokraten pochen vor dem geplanten Stahlgipfel im Kanzleramt auf „dringend wirksame industriepolitische Maßnahmen“ und wollen dafür in mehreren Bereichen aktiv werden. Die Kernbotschaft: „Wir bekennen uns klar zum Erhalt aller Stahlstandorte, der Stahlproduktion und Stahlverarbeitung in Deutschland.“ 

SPD-Fraktion drängt auf Industriestrompreis

So soll etwa der europäische und deutsche Markt vor Dumping-Konkurrenz geschützt werden. Die SPD-Fraktion begrüße daher „ausdrücklich“ den Vorschlag der EU-Kommission, die Importquoten für Stahl um etwa die Hälfte zu senken sowie die Zölle auf darüber hinausgehende Mengen auf 50 Prozent anzuheben. Zusätzlich brauche es klare „Buy European“-Vorgaben im nationalen und europäischen Vergaberecht.  

Gleichzeitig solle ein „Mix aus politischen Maßnahmen“ dafür sorgen, dass ein international wettbewerbsfähiges Strompreisniveau für die Stahlindustrie erreicht werde. Die SPD-Fraktion setze sich daher dafür ein, energieintensive Unternehmen auch über 2026 hinaus durch einen Bundeszuschuss bei den Stromkosten zu entlasten. Darüber hinaus wird „schnellstmöglich“ die Einführung eines „verlässlichen und wettbewerbsfähigen“ Industriestrompreises gefordert, der an Standortgarantien und Beschäftigungszusagen gekoppelt sein sollte. 

Neben wettbewerbsfähigen Energiepreisen solle auch die Nachfrage nach grünem Stahl angekurbelt werden, indem „verbindliche Nachhaltigkeitskriterien und -quoten“ in der öffentlichen Auftragsvergabe eingeführt würden. Der Hochlauf der Wasserstoffproduktion müsse beschleunigt werden. 

Insgesamt will die SPD-Fraktion mit ihren Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und den Umbau hin zu einer klimafreundlichen Produktion in der Stahlindustrie gewährleisten. „Nur so bleibt die Stahlindustrie als Beginn der industriellen Wertschöpfungskette und als entscheidender Resilienzfaktor in Deutschland erhalten – und damit auch der Industriestandort insgesamt gesichert“, heißt es. 

Gleichzeitig wissen die Sozialdemokraten um die angespannte Haushaltslage, auf die SPD-Finanzminister Lars Klingbeil seit Monaten hinweist. Die Vorschläge stünden daher „unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Mittelbereitstellung“, heißt es.