Bundeswehr: Steinmeier zweifelt am geplanten Losverfahren für Wehrdienst

Kommt sie nun oder nicht? Die Wehrpflicht-Debatte schlägt hohe Wellen. Jetzt äußern sich auch Bundespräsident Steinmeier und die Evangelische Kirche.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht ein mögliches Losverfahren bei der Auswahl von Wehrpflichtigen skeptisch. „Die (Koalitionäre) müssen selbst bewerten, ob das Losverfahren wirklich ein taugliches Verfahren ist. Lassen Sie mir etwas Zweifel zu“, sagte er dem SWR-Magazin „Zur Sache Rheinland-Pfalz“. Am Dienstag war eine Einigung von Unterhändlern der schwarz-roten Koalition auf ein Losverfahren überraschend geplatzt. Damit gehen Union und SPD heute ohne ein gemeinsames Konzept in die ersten parlamentarischen Beratungen über einen neuen Wehrdienst. 

Auslöser des jüngsten Streits in der Koalition war die Frage, ob möglicherweise ein Losverfahren bei der Wehrpflicht eingeführt werden soll, wenn sich nicht genügend Freiwillige zum Wehrdienst melden. Als Präsident muss Steinmeier das Gesetz unterschreiben, damit es in Kraft tritt. Zuvor hat er ein Prüfungsrecht, das unter anderem die Frage umfasst, ob das Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Steinmeier bezeichnete den Streit über die Wehrpflicht als „kommunikative Fehlleistung“. Er „glaube, das sehen mittlerweile nach einigen Stunden Abstand auch die Beteiligten selbst ein“. Und er hoffe, dass das relativ schnell bereinigt werde.

Evangelische Kirche und Schülervertreter lehnen Wehrpflicht ab

Derweil hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausgesprochen. Wegen der veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen gebe es die Notwendigkeit, den Wehrdienst auszubauen, jedoch immer nach dem Grundsatz: „So viel Freiwilligkeit wie irgend möglich“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs der „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe). Wer sich an geeigneter Stelle freiwillig für andere einsetze, stärke das Gemeinwesen nachhaltiger als jeder, der dazu verpflichtet wurde, erklärte Fehrs.

Die EKD-Ratsvorsitzende forderte eine breite Perspektive auf Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Viele junge Menschen haben Sorgen, was die Neuaufstellung des Wehrdienstes für sie persönlich bedeutet.“ 

Zugleich seien viele bereit, sich beispielsweise im Freiwilligendiensten, der Pflege oder im Katastrophenschutz zu engagieren, erklärte Fehrs. Ein kluges Gesetz müsse sowohl das Engagement als auch die Besorgnis ernst nehmen. „Deshalb sind Wehrdienst und Friedensdienst zusammenzudenken.“ Die EKD erneure in diesem Zusammenhang ihre Forderung nach einem „Recht auf Freiwilligendienst“, das den vielfältigen Fähigkeiten und Lebenssituationen junger Menschen gerecht werde.

Der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, beklagte zudem, dass junge Menschen in der Debatte über die Wehrdienstreform nicht gehört würden. „Vielleicht sollte sich die Bundesregierung erst mal anständig mit den Betroffenen auseinandersetzen, statt sich in koalitionsinternen Scharmützeln zu verkämpfen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). 

„Die andauernde Verunsicherung führt bestimmt nicht zu mehr Akzeptanz bei jungen Menschen. Wir befinden uns ohnehin schon in einer Krise der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, sagte der Schülervertreter. „Man zockt nicht um junge Menschen.“ 

Steinmeier rät zu Dienstpflicht für alle

Am Dienstag wurde eine angekündigte Pressekonferenz der Bundestagsfraktionen von Union und SPD kurzfristig abgesagt, weil es Streit über die Ausgestaltung einer wieder eingesetzten Wehrpflicht gab. „Das, was ich heute aus Berlin gehört habe, ist, dass der Schrecken groß ist. Und wenn der Schrecken groß ist, könnte es dazu führen, dass die Einigungsbereitschaft größer wird“, sagte Steinmeier im SWR.

Der Streit innerhalb der Koalition war in den vergangenen Tagen eskaliert. Fachpolitiker von Union und SPD verständigten sich auf Änderungen am Entwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), den das Kabinett im August beschlossen hatte. Die Vorschläge stießen bei ihm aber auf Widerspruch und wurden entgegen der Ankündigung der Experten dann doch nicht öffentlich vorgestellt.

Steinmeier sprach sich im SWR erneut für eine Dienstpflicht für alle aus. Junge Männer und Frauen sollte sich dann zwischen einer sozialen Pflichtzeit und einer Wehrpflicht entscheiden können. «Wir sollten uns nach meiner festen Überzeugung dem Gedanken öffnen, dass wir eine Dienstpflicht brauchen. Und ich bin nicht erst seit heute der Meinung, dass wir sie für Männer und Frauen brauchen», sagte er.