Nach dem schweren Parteitag und der Klatsche für SPD-Chef Lars Klingbeil dürsten die Sozialdemokraten nach Profilierung. Für die Statik der Koalition bedeutet das nichts Gutes.
Lars Klingbeil versucht die Krise wegzulächeln. Nach der Klatsche, so erzählt man es sich in der SPD, kommen viele Genossinnen und Genossen auf den Parteichef zu, um ihm zu versichern, es nicht gewesen zu sein. Nicht gegen ihn gestimmt zu haben, um ihm den Denkzettel zu verpassen. Das hätten ihm praktisch schon 550 Delegierte gesagt, scherze Klingbeil dann, heißt es. Mund abputzen, weiter machen: Das ist die Botschaft.
Doch das, was an diesem Wochenende in der Parteitagshalle passiert ist, wird noch lange nachwirken. In der SPD, sicher auch bei Klingbeil selbst. Und könnte für die Koalition noch zur Belastungsprobe werden.
Klingbeil wurde abgestraft, sein Standing als Parteivorsitzender ist schwer beschädigt. Nur 64,9 Prozent wollten ihn wieder als Chef – fast noch nie bekam ein Vorsitzender ein schlechteres Ergebnis. Das wird Folgen haben, die Klingbeil kaum wegwitzeln kann. Klingbeil, der die Partei komplett auf sich zugeschnitten hat, ist nicht mehr das unangefochtene Machtzentrum, er gilt jetzt als angeschlagen.
Plötzlich erscheint unsicher, ob er noch die Autorität besitzt, seine Partei von schmerzhaften Kompromissen in der Koalition überzeugen zu können. Zumal die SPD nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl nervös ist. Eine heikle Lage für Schwarz-Rot, aber auch für den Vizekanzler, den Bundesfinanzminister.
Ein „schweres Ergebnis“ für den SPD-Chef
Es gibt unterschiedliche Erzählungen darüber, wie Klingbeil sein Ergebnis verkraftet. Die einen sagen, er trage es mit Fassung. Von einem Betriebsunfall ist die Rede, das habe sich auch im weiteren Verlauf des dreitägigen Parteitags gezeigt: warmer und anhaltender Applaus für den Parteichef. Die anderen meinen einen Vorsitzenden zu erleben, der tief getroffen sei, mitunter etwas ratlos.
Nur Oskar Lafontaine hat ein schlechteres Ergebnis erhalten, 1995 war das. Beim Bundesparteitag in Mannheim holte er nur 62,6 Prozent der Stimmen – allerdings in einer Kampfkandidatur gegen Rudolf Scharping. Klingbeil hatte keinen Gegenkandidaten. Während Sigmar Gabriel schon nah dran war, als Parteichef hinzuschmeißen, als er 2015 mit nur 74,3 Prozent wiedergewählt wurde.
Seine eigene Stärke hat Klingbeil möglicherweise überschätzt. Der radikale und rasante Erneuerungskurs hat Spuren hinterlassen, auch Wunden. Viele altgediente Genossinnen und Genossen sind bei der Postenvergabe leer ausgegangen. Der Frust darüber wie auch über das Debakel bei der Bundestagswahl (16,4 Prozent) sitzen tief – und haben sich an Klingbeil entladen. Jetzt steht er vor harten Monaten.
Lars Klingbeils drei Probleme
Problem eins: Der SPD-Chef müsste jetzt liefern, um seinen Ruf in der Partei wieder zu stärken – sieht sich in nächster Zeit aber vor allem mit Themen konfrontiert, die die roten Herzen kaum höher schlagen lassen werden. Vom neuen Wehrpflicht-Modell bis zur Bürgergeld-Reform.
Schwierige Themen für die SPD, die auch nach der Regierungsbildung bei 16 Umfrageprozent wie einbetoniert zu sein scheint. Das sorgt zusätzlich für Frust. Längst fordern Parteilinke, die Verteilungsfrage wieder lauter und mutiger zu stellen, um das Profil der SPD zu schärfen.
Dass die Koalitionspartner von CDU und CSU aus Rücksicht auf Klingbeil nun nach links rücken könnten, dürfte allenfalls ein frommer Wunsch sein. Im „Spiegel“ forderte Jens Spahn, der Unions-Fraktionschef, gleich nach dem Parteitag neue Sparanstrengungen von den Sozialdemokraten. Klingbeil kann zwar auf die Unterstützung von Kanzler Friedrich Merz bauen. Der Christdemokrat braucht ihn und die Sozialdemokraten zum Regieren. Ein anderes Bündnis als Schwarz-Rot ist politisch ausgeschlossen. Aber helfen dürfte der Kanzler den Genossen auch nicht. Er steht selbst unter Druck in den eigenen Reihen, in der Innenpolitik glaubwürdiger zu werden.
Problem zwei: Klingbeil hat mit Bärbel Bas eine neue, starke Co-Vorsitzende an seiner Seite. Die Arbeitsministerin wurde auf dem Parteitag mit starken 95 Prozent zur neuen Parteichefin gewählt. Das offenbart aber auch Klingbeils neue Schwäche: Er wird künftig auf Hilfe angewiesen sein, auch von seiner neuen Co-Vorsitzenden, um seinen Vertrauensverlust ausgleichen zu können. Ob dadurch in Bas eine ernstzunehmende Rivalin für Klingbeil erwachsen könnte, wird sich noch zeigen. Aber allein, dass darüber jetzt intern diskutiert wird, ist kein gutes Zeichen.
Die frühere Bundestagspräsidentin gilt als bodenständig, kommt aus Duisburg in Nordrhein-Westfalen und hat eine Aufstiegs- und Arbeiterbiografie, wie sie in der SPD gern und stolz weitererzählt wird. Ihr sattes Wahlergebnis (30 Prozent mehr als Klingbeil) zeigt, dass auf ihr große Hoffnungen ruhen. Und sie möglicherweise genug Vertrauen der Partei besitzt, um auch schwierige Kompromisse wie die Bürgergeld-Reform vermitteln zu können.
Früher hat Klingbeil seine deutlich unbeliebtere Co-Chefin Saskia Esken mitgezogen. Ihr Malus war sein Bonus. Mit Bas könnte es künftig andersherum sein.
Problem drei: Die nächsten Bewährungsproben für den SPD-Chef werfen ihre Schatten schon voraus. Im September finden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen statt, einst Herzkammer der Sozialdemokraten – und laut der aktuellen Umfragelage bald ihr akutes Herzflimmern. Kommendes Jahr werden in fünf Bundesländern neue Landtage gewählt. Fast überall sind die Aussichten für die Sozialdemokraten schlecht. Den Auftakt gibt es im März in Baden-Württemberg. Die Wahl dürfte miserabel verlaufen.
Ein Drücker vom Kanzler a. D.
Wenn sogar Olaf Scholz zu einer tröstenden Umarmung vorbeikommt, dann muss die Lage wirklich ernst sein. Sonst hält der unnahbare Ex-Kanzler gern eine Armlänge Abstand, doch nach dem Votum für Klingbeil macht Scholz eine Ausnahme und setzt zum sachten Drücker für seinen gescholtenen Genossen an.
War es das schon für Klingbeil, der bis vor kurzem noch als Hoffnungsträger der SPD galt? Nicht so schnell.
Scholz weiß, wie es ist, eine draufzukriegen. Auf dem Bochumer Parteitag 2003 erhielt er bei seiner Wiederwahl zum Generalsekretär von Gerhard Schröder nur 52 Prozent. Als er 2019 mit Klara Geywitz für den SPD-Vorsitz antritt, unterliegt er einer gewissen Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans bei der Mitgliederabstimmung. Aber: Scholz wurde Kanzler, trotz vieler Niederlagen zuvor.
Der Parteivorsitzende-Vizekanzler-Finanzminister Lars Klingbeil, 47, muss jetzt zum ersten Mal eine persönliche Schlappe verkraften, nachdem er einen rasanten Aufstieg in der SPD hingelegt hat. Der „liebe Lars“ hat sich zum Machtpolitiker gewandelt, das fordert seinen Tribut.
Der Koalitionsfrieden ist jetzt brüchig
Scholz – und übrigens auch Friedrich Merz – zeigen, dass aus Niederlagen noch Großes erwachsen kann. Wenn Wunden geheilt werden und Vertrauen wieder aufgebaut wird. Leicht wird das nicht. Die SPD will mehr mitmischen und mitgenommen werden. Für den Koalitionsfrieden mit den Konservativen, die man noch mit Argwohn betrachtet, könnte das kontraproduktiv sein. Die SPD hat nun beschlossen, ein AfD-Verbotsverfahren ernsthaft zu prüfen und Beweise zu sammeln. Auch Klingbeil ist dafür, Kanzler Merz deutlich weniger.
Kann Klingbeil den Neustart für die SPD erfolgreich organisieren? An diesem Selbstanspruch wird sich der Chef messen lassen müssen. Seine Partei wird es, spätestens dann, wenn die Frage nach der Kanzlerkandidatur 2029 ansteht.