Viele Politiker und Journalisten behandeln die AfD mittlerweile wie einen Chihuahua. Wer aber gegen die Rechtsextremen protestiert, wird an den Pranger gestellt.
Kurz vor der Sommerpause wurde die Diskussionstemperatur noch einmal hochgedreht. Die ARD lud dieses Jahr auch die AfD-Chefin Alice Weidel zum Interview ein. Frau W. ist die Vorsitzende einer Partei, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem bezeichnet wird, inzwischen gerichtlich bestätigt.
Das weiß zwar jeder, ich sage es aber noch einmal, weil es viele einfach ignorieren. Oder kleinreden, da mehr als 20 Prozent der Deutschen die AfD derzeit wählen würden. Dieses Argument macht die AfD nicht weniger rechtsextrem. Eine gut funktionierende Demokratie müsste in dieser Situation dem Extremismus den Kampf ansagen. Unsere derzeit mittelgut funktionierende Demokratie tut hingegen oft so, als löste sich das Rechtsextreme in Luft auf, wenn man die AfD tätschelt, als wäre sie eine normale Partei, ach was, ein Chihuahua der Politik.
Einige Bundesbürger aber verspüren noch den demokratischen Drang, gegen ein lockerflockiges Sommerinterview mit der Chefin einer rechtsextremen Partei zu protestieren. So brachten ein paar Künstler und Aktivisten rund um das „Zentrum für Politische Schönheit“ liebliche Chorgesänge zur Aufführung in der Nähe des TV-Interviews, auch den Ohrwurm „Scheiß-AfD“.
Im TV schließlich hörte man Frau W. ihren Nonsens reden, darunter den Chor, als habe der liebe Gott persönlich kleine dicke Putten vom Himmel gegen sie ansingen lassen. Kirchentagsklänge gegen Menschenverachtung – ein kreativer Protest, selbst, wenn er den eigenen Humor nicht ganz treffen sollte. Prompt erhitzten sich die Gemüter, und nach kurzer Zeit wirkte es, als sei der Chor gefährlicher für die Demokratie, als es die gesichert rechtextreme Partei ist.
Die AfD zieht die Opferkarte
Die Normalisierung von Rechtsextremen scheint in Deutschland in vollem Gang zu sein. Niemand wollte Frau W. öffentlich die Meinung geigen, den Protestierenden dagegen schon. Zig Artikel und Interviews, in denen die Protestler gefragt wurden, warum sie der Demokratie schadeten. Die AfD hingegen soll bitte freundlich befragt werden, sonst zieht sie die Opferkarte. Selbst als bekannt wurde, dass Frau W. gemeinsam mit ihrem Interviewer entschieden hatte, das Gespräch trotz des Chors durchzuführen, warf ihr niemand ihre Heuchelei und Doppelmoral vor.
Warum genau setzen aktuell so wenige Politiker und Medienvertreter entschlossen und geschlossen Grenzen? Warum sagt niemand: Frau Weidel, Sie erwarten faire Behandlung, warum verdrehen Sie gemeinsam getroffene Absprachen dann im Nachhinein? Am Ende könnte man denken, die singenden Protestierenden seien Schuld an den guten Umfragewerten der AfD. Sie werden, wie die Millionen Demonstrierenden Anfang vergangenen Jahres, als „Blase“ verhöhnt.
Das Derzeit-Hoch der AfD könnte auch am Langzeit-Tief der Regierung Merz liegen. Nach den Neuwahlen hat sie kaum eines der versprochenen Ziele umgesetzt. Nur die Migrationspolitik gestaltet sie inzwischen rhetorisch wie juristisch im Sinne der AfD. Merz kuschelt außerdem mit Meloni, was Scholz nie in den Sinn gekommen wäre, und Spahns Maskenaffäre wird ausgesessen. Auch diese Politik treibt Bürger in die Arme der Anti-Politik-Partei.
Wenn Bürger, Künstler, Engagierte und Aktivisten sich kreativ wehren, ist das kein Skandal. Ein Skandal ist es, wenn Menschen, die Demokratie ernst nehmen, an den Pranger gestellt werden – und nicht jene, die unsere Demokratie abschaffen wollen. Schönen Sommer also, möglichst ohne Interviews!