Preisverdächtige Literatur: Nominierte für Buchpreis spiegeln „wackelige Wirklichkeit“

Die „beängstigende Gegenwart“ hat auch die Auswahl der Jury für den Deutschen Buchpreis geprägt. Mehr als 200 Romane wurden gesichtet, 20 landeten nun auf der Longlist.

Da sind autobiografisch geprägte Romane über den Amoklauf in Erfurt, den Ukraine-Krieg oder den Tod des Vaters. Da sind Erzählungen über Identität, Herkunft und über Zugehörigkeit – und immer wieder über Familie. Da sind düstere und schwere Themen, aber auch Humor und Witz. Und da sind verschiedene Schreibweisen und ganz eigene Töne.

Zwölf Autorinnen und acht Autoren sind mit 20 ganz unterschiedlichen Titeln auf der Liste vertreten, darunter bekannte Namen wie Feridun Zaimoglu, Nava Ebrahimi und Peter Wawerzinek. Der Sieger oder die Siegerin wird am 13. Oktober verkündet – dem Tag vor Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. Die Shortlist kommt am 16. September heraus.

Sorgen um die Zukunft – aber nicht die Zukunft der Literatur

„Sprachgestaltung, Erzählverhalten und die beängstigende Gegenwart haben uns im fragilen Jahr 2025 unter anderem in der Jury-Debatte geleitet“, sagte Jurysprecherin Laura de Weck. Viele Autoren würden entweder in die Vergangenheit oder in die Zukunft blicken, um das Heute zu spiegeln.

„Wie sind wir bloß dahin gekommen, wo wir heute stehen? Und was machen die Verhältnisse mit uns? Um die Zukunft muss man sich Sorgen machen, nicht aber um die der Literatur“, sagt de Weck.

Historische Panoramen sind ebenso auf der Liste wie Gegenwartsbeobachtungen und Dystopien. „Es geht um Finsteres, aber auch um Erzähllust, Witz und die Liebe zum Wort.“ Und eins sei sicher: „Die diesjährige Longlist versammelt 20 herausragende Romane, die in aller Vielfalt unsere wackelige Wirklichkeit spiegeln.“

Die Longlist in alphabetischer Reihenfolge:

Kathrin Bach: LebensversicherungMarko Dinić: Buch der GesichterNava Ebrahimi: Und Federn überallDorothee Elmiger: Die HolländerinnenKaleb Erdmann: Die AusweichschuleAnnett Gröschner: Schwebende LastenDmitrij Kapitelman: Russische SpezialitätenJina Khayyer: Im Herzen der KatzeJehona Kicaj: ëMichael Köhlmeier: Die VerdorbenenJonas Lüscher: Verzauberte VorbestimmungThomas Melle: Haus zur SonneJacinta Nandi: Single Mom Supper ClubGesa Olkusz: Die Sprache meines BrudersLena Schätte: Das Schwarz an den Händen meines VatersLina Schwenk: Blinde GeisterFiona Sironic: Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die LuftPeter Wawerzinek: Rom sehen und nicht sterbenChristine Wunnicke: WachsFeridun Zaimoglu: Sohn ohne Vater

Autofiktionale Romane weiterhin im Trend

Was auffällt: Viele Titel auf der Liste haben autobiografische Züge. „Der Trend zum Autofiktionalen ist ungebrochen“, sagt de Weck. Zaimoglus „Sohn ohne Vater“ erzählt eindringlich von einem trauernden Sohn, einer Reise in die Türkei und vom Zusammenhalt einer Familie. Bach erzählt in ihrem Debüt aus der westdeutschen Provinz der 1990er Jahre, in der sich Erinnerungen, Bilder und Listen zu einer tragikomischen Familiengeschichte zusammen. 

Wawerzinek, bekannt für autobiografisch geprägte Bücher, schreibt nach einer Krebs-Diagnose über die menschliche Vergänglichkeit, aber auch von Liebe und Kraft für die Heilung. Erdmann, der als Kind den Amoklauf an einem Erfurter Gymnasium miterlebte, nähert sich diesem in „Die Ausweichschule“. Es sei das „Traurigste, Lustigste und Beste, was ich seit langem gelesen habe“, schrieb Erfolgsautorin Caroline Wahl („22 Bahnen“) über das Buch. Und Kicaj erzählt vom Aufwachsen eines Kinds von Geflüchteten aus dem Kosovo. Für „ë“, ihr Debüt, erhält sie auch den Literaturpreis der Stadt Hannover (HANNA). 

Sowohl Newcomer als auch namhafte Autoren auf der Liste 

Apropos Debüt: Auf der Longlist sind etablierte Autorennamen ebenso vertreten wie Newcomer. Gleich sechs Schriftstellerinnen (Bach, Khayyer, Kicaj, Nandi, Schwenk, Sironic) haben es mit ihrem Erstlingswerk direkt auf die Liste geschafft. Andere Autorinnen und Autoren (Köhlmeier, Zaimoglu, Wunnicke, Wawerzinek, Melle, Lüscher, Elmiger) waren bereits in der Vergangenheit für den Buchpreis nominiert. 

Aber bleibt bei all den schweren Themen auch Platz für Humor? „Ja, Sprachwitz und auch humorvolle Erzählungen sind gerade jetzt unverzichtbar“, sagt Jurysprecherin de Weck. So entwickle Kapitelman in seinem Roman über den Ukraine-Krieg eine Sprache, „die die russische Propagandasprache von Putin auf skurrile Weise lustig ad absurdum führt“. Nandi schaffe es derweil mit „Single Mom Supper Club“, den gesellschaftlichen Missstand alleinerziehender Frauen mit schwarzem, radikalem Humor auf den Punkt zu bringen. Und Ebrahimis „Und Federn überall“ sei ein Mix aus seriellem Erzählen und Gesellschaftssatire anhand einer Hühnerschlachterei.

Sieger erhält 25.000 Euro

Insgesamt hat die Jury mehr als 200 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2024 und Mitte September 2025 erschienen sind oder noch erscheinen. Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen im Literaturbereich und ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert: Der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2.500 Euro. Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an Martina Hefter für ihren Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“.

Deutscher Buchpreis