Selbstbestimmungsgesetz: Ein Neonazi narrt die Behörden – weil sie es kann

Rechtsextremist Marla-Svenja Liebich geht in den Frauenknast. Er hat sich per Selbstbestimmungsgesetz zur Frau erklärt. Deshalb wollen CDU/CSU die Regel ändern. 

Es ist ein groteskes Theater, das der Neonazi, der Marla-Svenja Liebich heißt und vor dem Gesetz eine Frau ist, da aufführt. Liebich muss in einer Woche eine Haftstrafe antreten und wird aller Voraussicht nach ins Frauengefängnis in Chemnitz in Sachsen einziehen.

Der bekannte Neonazi war 2023 – damals noch als Sven Liebich – vom Amtsgericht Halle wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. In der Vergangenheit war Liebich explizit queerfeindlich aufgetreten. 

Ein Geschlechterwechsel ist per Eklärung möglich

Seit Januar 2025 aber ist Liebich laut seinem Geschlechtseintrag eine Frau und trägt einen weiblichen Vornamen. Das neue Selbstbestimmungsgesetz hat es möglich gemacht. 

Daraus macht die Rechtsextremistin nun eine große Show: Auf X bewirbt Liebich ihre „große Einzugsfeier“ in das Frauengefängnis. Per Brief weist Liebich die Haftanstalt daraufhin, dass eine Überprüfung des Geschlechts nicht möglich ist. Das Kuriose: Liebich hat in diesem Punkt recht. 

Laut dem von der Ampel verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz ist „die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen“. Seither steht es jeder und jedem frei, das eingetragene Geschlecht mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt zu ändern. Menschen ab 18 Jahren dürfen das theoretisch einmal im Jahr machen. Bei Kindern ab 14 Jahren müssen die Eltern zustimmen.

Die Ampel-Koalition wollte damit hohe Hürden für die Geschlechtsänderung abbauen. Bis dahin war das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz langwierig, unsicher und oft teuer. Es waren zwei Sachverständigengutachten nötig, Gerichte konnten die Änderung ablehnen, wenn sie von Gutachten nicht überzeugt waren. Das Bundesverfassungsgericht hatte einzelne Vorschriften des Transsexuellengesetzes immer wieder für verfassungswidrig erklärt. 

Heute kann die Änderung des Geschlechtseintrags bei Erwachsenen praktisch nur noch an Formalia scheitern. Eine Kontrolle ist bewusst nicht vorgesehen, wie der Fall Liebich zeigt. 

CDU/CSU möchte die Regelung daher dringend reformieren: „Als Union sehen wir beim Selbstbestimmungsgesetz nach wie vor großen Änderungsbedarf, weil es den Geschlechtswechsel zu einfach macht und damit zu Missbrauch einlädt“, sagt der für den Bereich Justiz zuständige Vizefraktionschef Günter Krings dem stern. Krings fordert, dass Liebich in eine Justizvollzugsanstalt für Männer einziehen sollte: „Ob eine Person in ein Frauengefängnis kommt, sollte sich nach dem biologischen und nicht nach dem rechtlichen Geschlecht bestimmen, weil letzteres inzwischen keine Aussagekraft mehr hat.“ Sachsen könne das selbst entscheiden, Justizvollzug sei Ländersache.

Im Koalitionsvertrag haben SPD und Union ohnehin vereinbart, die Auswirkungen des Selbstbestimmungsgesetzes zu prüfen. „Ich halte Änderungen an diesem Gesetz für unausweichlich – auch im Sinne derjenigen, die damit zurecht geschützt werden sollen“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann dem stern. „Der Fall Liebich ist ein abschreckendes Beispiel dafür, dass das Selbstbestimmungsgesetz so nicht bleiben kann.“ Der Schutz von Transpersonen sei wichtig, aber das Gesetz öffne dem Missbrauch beim Geschlechterwechsel Tür und Tor.

Schon vor der Verabschiedung des Gesetzes im April 2024 hatte es Bedenken in den Sicherheitsbehörden gegeben. Ex-Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das Gesetz eine Zeit lang blockiert, weil es in ihrem Haus Vorbehalte gab: Was, wenn aus einem Genoven eine Ganovin mit neuem Namen wird und die Behörden nichts davon mitbekommen? Im schlimmsten Fall, so die Sorge, könnten Fahndungen ins Leere laufen – und Straftäter untertauchen.

Diese Gefahr besteht bei Rechtsextremist(in) Liebich offenbar nicht. Liebich geht bewusst in die Öffentlichkeit, spielt mit einer anderen Regel des Gesetzes: dem sogenannten Offenbarungsverbot. Liebich verklagte etwa den Ex-Bild-Chef Julian Reichelt, der behauptet hatte, Liebich sei keine Frau. Die „Ampel-Regierung“, kritisiert Reichelt, habe es mit dem Gesetz geschafft, deutsche Medien zu zwingen, die Unwahrheit zu sagen und „grotesk falsche Dinge zu behaupten“.

Liebich verlor. Das Gericht wertet in diesem Fall die Meinungsfreiheit höher, die Begründung ist vielsagend: „Die Behauptung, die Antragstellerin sei keine Frau, soll als Beispiel eine Folge dieser gesetzlichen Regelung illustrieren, nämlich dass es nach der Gesetzeslage nunmehr möglich ist, dass ein bislang öffentlich als queerfeindlicher ,Neonazi’ auftretender Mann nunmehr als Frau bezeichnet werden möchte und nahezu alle Journalisten dem entsprechen aus Angst vor einer staatlichen Verfolgung.“

Der Unionsabgeordnete Christoph Ploß warnt: „Wenn alle einmal im Jahr einfach so ihr rechtliches Geschlecht ändern können, sind unter anderem Schutzräume für Frauen massiv bedroht.“ Es sei darüber hinaus absurd, dass Journalisten verklagt werden können, die über den Missbrauch der Regel berichten wollen. „Das Ampel-Gesetz muss so schnell wie möglich abgeschafft werden!“

Seit der Einführung des Gesetzes wollen deutlich mehr Menschen ihr Geschlecht ändern als gedacht. Die Ampel-Koalition hatte in ihrem Gesetzentwurf mit ungefähr 4000 Fällen pro Jahr gerechnet. Schon kurz vor der Verabschiedung hätten sich deutschlandweit rund 15.000 Menschen für eine solche Änderung angemeldet, ergab eine Datenauswertung des Magazins „Spiegel“. Im Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes wechselten täglich rund 100 Personen ihr Geschlecht.

Die groteske Show der Marla-Svenja Liebich zeigt, was für grundsätzliche juristische und gesellschaftliche Fragen mit dem einfachen Geschlechterwechsel einhergehen.