Jedes Jahr werden Milliarden vererbt oder verschenkt. Nicht immer werden dafür auch Steuern gezahlt. Nun hat ausgerechnet der konservative Spahn eine Debatte losgetreten
463-mal wechselten in den vergangenen zehn Jahren 100 Millionen Euro oder mehr den Besitzer. In mindestens 258 Fällen, also mehr als der Hälfte, flossen dafür keine Steuern. Das geht aus der Antwort des Finanzministeriums auf eine Frage des Linken-Haushälters Dietmar Bartsch hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Ausgerechnet der konservative Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hat nun eine Diskussion darüber ausgelöst, wie Groß-Erben zur Kasse gebeten werden können.
Damit große Vermögen künftig nicht mehr ganz oder weitgehend steuerfrei vererbt beziehungsweise verschenkt werden können, schlagen die Grünen eine Reform vor, die Rücksicht auf die Bedürfnisse von Unternehmen nimmt. „Unser Vorschlag an CDU und SPD ist, in einem ersten Schritt sehr schnell und kurzfristig die Ausnahmen abzuschaffen, die aktuell zu großen Ungerechtigkeiten bei der Erbschaftssteuer führen“, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, der dpa. Sie knüpft damit an eine Aussage von Spahn an, der in einer Talkshow gesagt hatte, die Vermögensverteilung in Deutschland sei ein Problem.
Steuerbefreiungen gibt es bislang zum Beispiel, wenn Betriebsvermögen, landwirtschaftliche Betriebe oder Anteile an Kapitalgesellschaften vererbt oder verschenkt werden. Damit will man vermeiden, dass Betriebe aufgegeben werden müssen, weil die neuen Besitzer die Erbschaftsteuer aus dem Privatvermögen nicht zahlen können.
Diese sogenannten Verschonungsregelungen sollten aus Sicht von Dröge geändert werden. „Niemand versteht, warum es möglich ist, dass man bei einem Erbe von 26 Millionen Euro keinen Cent Erbschaftssteuer zahlen muss, während Menschen, die weniger erben, Steuern zahlen“, erklärte die Grünen-Politikerin. Sie will durch „weitreichende mehrjährige Stundungsregelungen“ dafür sorgen, dass die Steuerzahlung für Firmenerben machbar ist, ohne dass dadurch Arbeitsplätze gefährdet sind.
Wenig Echo auf Spahns Aussagen zur Erbschaftssteuer in Union – SPD positiv
Um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verkleinern, sollte man diese Reform zudem mit gezielten Maßnahmen zur Förderung des Vermögensaufbaus bei Menschen mit geringem Einkommen verbinden, sagte Dröge. Ihre Fraktion würde dazu gerne im Bundestag bald Gespräche führen – allerdings gebe es bislang „noch keine Aussage der CDU und von Jens Spahn, ob jetzt konkret gehandelt werden sollte“, fügte sie hinzu.
Spahns Bereitschaft, aus der ungleichen Verteilung von Vermögen in Deutschland politische Konsequenzen zu ziehen, stieß bei den Wirtschaftsverbänden und in der Union bislang auf ein verhaltenes Echo, während der Koalitionspartner SPD positiv reagierte.
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf sagte der „Rheinischen Post“: „Wir haben in Deutschland eine extreme Ungerechtigkeit, was die Verteilung von Vermögen angeht. Jedes Jahr werden 400 Milliarden Euro in diesem Land vererbt, von denen nur ein ganz kleiner Teil überhaupt steuerpflichtig ist. Das sorgt für eine massive Schieflage, die wir seit Jahren anprangern.“
Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht aus
Mit Spahn hatte erstmals ein konservativer Spitzenpolitiker eine Privilegierung Vermögender eingeräumt – womöglich auch mit Blick auf ein in den kommenden Monaten erwartetes Urteil aus Karlsruhe zur Erbschaftssteuer.
„Wer schon hatte, hat immer mehr“, sagte der CDU-Politiker in der ZDF-Talkshow „maybrit illner“. „Wir hatten in den letzten Jahren, gerade in der Niedrigzinsphase, die Situation, dass Vermögen eigentlich ohne größeres eigenes Zutun von alleine fast gewachsen ist. Immobilienwerte, Aktienwerte und anderes mehr.“ Spahn fügte hinzu: „Es ist ein Problem, die Vermögensverteilung.“
Der Unionsfraktionschef verwies darauf, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer erwartet werde und die Koalition die Steuer dann möglicherweise neu regeln werde. Es könnte sein, dass das Verfassungsgericht die Regierung zu einer Reform zwingt.
Bartsch: „Rechtlich legal, politisch skandalös“
Für Linken-Haushälter Bartsch ist die Erbschaftsteuer „die ungerechteste Steuer des Landes“. „Wer die größten Vermögen geschenkt bekommt oder erbt, spart Steuern – wer arbeitet, zahlt sie“, beklagte er. Rechtlich sei es so, dass auf große Vermögen oft keine Steuern anfielen, politisch sei das skandalös. „Steuerschlupflöcher bei der Erbschaftsteuer sollten geschlossen, Vergünstigungen für Unternehmensvermögen abgeschafft werden“, forderte er. Wer die Erbschafts- und Vermögensbesteuerung nicht reformiere, müsse auch zu Sozialkürzungen schweigen.
Das Steueraufkommen aus der Erbschaftsteuer geht allerdings an die Länder. CSU-Chef Markus Söder schlug zuletzt vor, auch die Steuerhöhe in die Hände der Länder zu legen – was Kanzler Friedrich Merz (CDU) als unrealistisch zurückwies.
Trotz der geltenden Ausnahmen haben die Finanzämter im vergangenen Jahr so viel Erbschaft- und Schenkungsteuer eingefordert wie nie zuvor: insgesamt 13,3 Milliarden Euro. Das sind 12,3 Prozent mehr als im Jahr davor. 8,5 Milliarden Euro entfielen auf Erbschaften, 4,8 Milliarden Euro auf Schenkungen.
Diesen Berechnungen zugrunde liegen Erbschaften und Schenkungen von rund 113,2 Milliarden Euro, die über den Freigrenzen lagen. In den meisten Fällen ging es dabei um Summen unter einer Million, 27 Mal wechselten 100 Millionen oder mehr den Besitzer.
Steuern sparen durch Schenken statt Vererben
Die großen Vermögen werden der Statistik zufolge deutlich häufiger verschenkt als vererbt. In beiden Fällen gelten die gleichen Steuersätze und Freibeträge: Ein Ehepartner darf Erbschaften oder Schenkungen im Wert von bis zu 500.000 Euro erhalten, ohne Steuern zu zahlen. Für Kinder sind 400.000 Euro steuerfrei, bei Enkeln sind es 200.000 Euro.
Trotzdem lassen sich durch geschickte Schenkungen zu Lebzeiten Steuern sparen – denn der Freibetrag kann alle zehn Jahre erneut genutzt werden. Wer früh anfängt, kann enorme Summen übertragen, ohne den Staat zu beteiligen.
Im Wahlkampf hatte Alexander Dobrindt (CSU) vorgeschlagen, dass Eigenheime steuerfrei an die nächste Generation übertragen werden können, wenn sie mindestens zehn Jahre selbst genutzt oder vermietet werden. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD sieht jedoch weder hierzu noch zu anderen Aspekten der Erbschafts- und Schenkungssteuer Reformen vor.